Tödliche Ewigkeit
Wartezeiten bei mir, aber ich hatte es mit einem sehr heiklen Fall zu tun, der mehr als eine einfache Diagnose verlangte. Verstehen Sie?«
Ann zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. Der Arzt wirkt verlegen.
»Nun, ohne meine ärztliche Schweigepflicht zu brechen, kann ich sagen, dass … die kleine Naomi ein wunderbares Mädchen von unglaublicher Reife ist … Sie leidet unter einer seltenen Krankheit, an der sie bald sterben wird. Außer die Forschung würde sehr rasche Fortschritte machen … Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Sie hat die Situation voll und ganz verstanden und scheint sie auch zu akzeptieren. Auf alle Fälle besser als ihre Eltern.«
Das leichte Zittern in Yudkowskis Stimme verrät seine Bewegung, die er zu unterdrücken versucht:
»Aber ich möchte Sie nicht mit meinen Geschichten langweilen! Detective, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
»Nun, es gibt Dinge im Mordfall Lucie Milton, die noch nicht geklärt scheinen und …«
Er unterbricht sie:
»Ach, Lucie … welch ein Verlust …«
»Kannten Sie sie gut?«
»Ich habe sie durch Henry Buchanan kennengelernt, den Mann, der ihr Schwiegervater geworden wäre, hätte es diese doppelte Tragödie nicht gegeben. Ich habe diese Frau sehr bewundert. Forscherinnen wie sie gibt es nicht viele. Sie war die einzige Wissenschaftlerin, die wirklich vor jener Versuchung gefeit schien, die beispielsweise mich von der Forschung ferngehalten hat.«
»Welche Versuchung?«
»Haben Sie die Eltern des kleinen Mädchens gesehen? Wenn sie es verlieren, ist das für sie schlimmer als der eigene Tod. Sie haben nur eine einzige Hoffung: die Wissenschaft. Und meine Aufgabe ist es, sie vor der Verzweiflung zu bewahren, ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen. Heute glaubt doch kaum mehr jemand an Gott, nicht wahr? Es gibt kein Jenseits mehr, das uns über unsere Sterblichkeit hinwegtröstet … Alle Erwartungen, die sich früher auf die Religion konzentriert haben, richten sich jetzt auf die Wissenschaft. Die Forschung ist nach dem Tod Gottes die ultimative Religion, deren Priester den Platz des höchsten Wesens eingenommen haben, indem sie sein größtes Gut in Reichweite der menschlichen Träume rückten: die Allmacht. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die Wissenschaftler die wahren Götter unserer Zeit sind, da man von ihnen Wunder erwartet? Wie sollte einem das nicht zu Kopf steigen?«
Der entschiedene, sonderbar deklamatorische Ton dieses Mannes verbarg nur schlecht seine tiefe Verunsicherung. Während er sprach, spielten seine Hände nervös mit einem Rezeptstapel. Wie schwer musste es für einen Arzt sein, sich seine Ohnmacht gegenüber der Krankheit eines Kindes einzugestehen …
»Und Sie meinen, dass es Lucie Milton gelang, sich nicht davon beeindrucken zu lassen?
»Ich glaube, ihr war jegliche Form von Macht völlig gleichgültig. Einmal habe ich gehört, wie sie zu Steve sagte: ›Du forschst, weil du die Wissenschaft liebst, ich tue es, weil ich das Leben liebe.‹ Sie war Forscherin aus Leidenschaft. Sie strebte danach, den Baum des Lebens zu erkennen. Doch die Art, wie wir uns ihm nähern, machte ihr Angst.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Verfolgen Sie ein wenig die Entwicklung der Wissenschaft, Detective?«
»Zugegebenermaßen nur aus der Ferne …«
»Stellen Sie sich die Welt in zwanzig Jahren vor. Ihre Leber zeigt Schwächen. Wenn es weiter nichts ist: ein kleiner Besuch in einer Klinik, und man macht Ihnen einen Kostenvoranschlag. Tausend Dollar für eine künstliche Leber. Für eine mit dem Immunsystem kompatible Schweineleber zweitausend Dollar. Für eine aus Ihren eigenen Stammzellen gezogene Leber dreitausend Dollar – aber dabei gibt es eine gewisse Wartezeit! Schon sehr bald werden wir in der Lage sein, menschliche Organe auszutauschen wie Maschinenteile.«
»Man könnte dem Menschen die Leber eines Tieres einpflanzen?«
»Schockiert Sie das? Dabei werden solche Versuche bereits gemacht. Es gibt zu wenige menschliche Spenderorgane. Im Moment scheitert die Sache an einem technischen Hindernis: Menschen und Tiere sind organisch nicht kompatibel, und die Xenotransplantate werden abgestoßen. Dennoch gibt es eine Lösung.«
Ann, unwillkürlich fasziniert, dachte gar nicht mehr daran, den Arzt auf das Thema zurückzubringen, das sie hergeführt hatte.
»Man braucht den Tieren nur ein oder mehrere Gene einzupflanzen, die die Organe für den menschlichen Körper verträglich machen. Dabei
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