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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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Phantom. Sie war absolut real.
    Aber hat sie ihm nicht nach ihrem Tod Zeichen gegeben? Hat er nicht ihre Gegenwart gespürt? Kann er daran zweifeln?
    Und der Psychopath in der Anstalt, der in seinem Delirium eine so exakte Beschreibung von Lucie abgegeben hatte, der ihm versicherte, sie zu sehen  … Wenn so viele Zeichen zusammenkommen, ist es dann noch vernünftig, an Zufall zu glauben?
    Er setzt sich auf die Bettkante und vergräbt den Kopf in den Händen. Zum ersten Mal seit langer Zeit denkt er an seine Mutter. Ihr Bild verfolgt ihn, er vermag es nicht zu vertreiben und auch nicht den aufkeimenden Schmerz, den er für immer in den Tiefen seiner Seele vergraben glaubte.
    Warum hat ihm seine Mutter nach ihrem Tod nie das geringste Zeichen gegeben?
    Hat er sie in einem Abgrund verschwinden lassen, dem seines Gedächtnisses, hermetisch verschlossen durch die Weigerung, an sie zu denken? Warum hat er seine Mutter in seinem Herzen ein zweites Mal getötet – durch die Verbannung jeglicher Erinnerung?
    Weil er ihr vorwarf, ihn im Stich gelassen zu haben?
    Wie eine Blase, die an die Wasseroberfläche steigt und dort zerplatzt, überkommt ihn ein grenzenloser Kummer, bricht in einem Tränenstrom aus ihm heraus. Er durchlebt noch einmal den Augenblick, in dem er von ihrem Tod erfuhr. Er ist auf dem Land, in den Catskill Mountains. Sie wohnen in dem großen Haus jenes reichen Mannes, mit dem seine Mutter …
    Er kommt von einer langen einsamen Wanderung im Wald zurück.
    Er ist glücklich, ohne einen konkreten Grund.
    Jene eigenartige Erinnerung, die in ihm aufstieg, als er in den Bergen den Spuren von Steve Buchanan folgte, überwältigt ihn aufs Neue. Er lehnt am weißen Stamm einer Birke. Sein keuchender Atem vermischt sich mit der Brise, die seine Haut erfrischt. Er spürt nicht mehr die Grenzen seines Körpers und verschmilzt mit dem Baum. Er ist eins mit allem, endlos glücklich in einem Moment der Ewigkeit. Er fühlt sich unendlich geliebt.
    Das ernste Gesicht eines alten Mannes empfängt ihn. Ist es ein Arzt? Oder der Hausbesitzer?
    »Deine Mama …«
    Jeff ballt die Fäuste.
    Warum müssen sich die Tore des Gedächtnisses öffnen? Erinnerung verhindert Leben. Nur die Gegenwart existiert!
    Doch in seinem Kopf überschlagen sich die Fragen, und er hat nicht mehr die Kraft, sie zu verdrängen.
    Hat er nach dieser Wanderung vom Tod seiner Mutter erfahren?
    Hatte er genau nach diesem Gefühl von Ewigkeit, als er das Leben wirklich unendlich geliebt hatte, diesen schlimmsten Schmerz empfunden, der einem Kind zugefügt werden kann?
    Am nächsten Morgen ging Jeff in die New York Public Library an der Fifth Avenue. Zwei steinerne Löwen, der eine hieß »Tapferkeit«, der andere »Geduld«, bewachten die Treppe zu der ehrwürdigen Bibliothek. Jeff musste sich beherrschen, um darin nicht ein erneutes Zeichen zu sehen, während er die Stufen zu dem riesigen Portal hinaufstieg. Es war das erste Mal, dass er hierherkam, und er fühlte sich ein wenig eingeschüchtert. Die Leute, denen er begegnete, schienen ihm fremd. Diese Intellektuellen hatten fast alle die gleiche Körperhaltung: den Kopf leicht vorgeneigt, so als spürten sie einer Idee nach, die ihnen zu entkommen suchte. Außerirdische, die zwischen zwei Welten schwebten und vermutlich durch ein einfaches Schulterklopfen aus dem Gleichgewicht zu bringen waren.
    Der Sergeant suchte sich einen Platz in dem riesigen Lesesaal, den man ihm für seine Recherchen angewiesen hatte. Dort blieb er den ganzen Tag sitzen, bis das Klingelzeichen die Schließung ankündigte.
    Am nächsten Morgen kam er wieder. Unter dem erstaunten Blick der Angestellten, die es nicht gewöhnt waren, in diesem Tempel des Wissens nach alten Zauberbüchern über Erscheinungen, Geister und andere paranormale Phänomene zu suchen, verbrachte er auch diesen Tag damit, eine eindrucksvolle Menge von Werken durchzublättern. Am Abend hatte er sich eine Meinung gebildet.
    Es gab zahlreiche Zeugnisse ähnlicher Fälle wie dem, den Leticia ihm geschildert hatte. Manche tauchten sogar in Polizeiberichten auf. Bei anderen wurden verschiedene Zeugen genannt, deren Aussagen sich deckten. Wenige Wochen zuvor hätte er so etwas als Aberglauben abgetan. Doch nach dem, was er erlebt hatte, konnte er es jetzt ohne Schwierigkeiten akzeptieren. Offensichtlich gab es viele Menschen, denen der Tod eines Nahestehenden angekündigt wurde – genau in dem Augenblick, da er eintrat. Und zwar entweder durch ein intensives

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