Tödliche Ewigkeit
helfen wollen, aber …«
»Aber?«
»Sie gehen zu oft ins Kino.«
Ann kauerte sich wütend in ihre Ecke.
»Und warum?«
»In den Filmen kriecht man problemlos durch die Belüftungsschächte. In Wirklichkeit sind sie so eng, dass höchstens ein kleiner Affe hindurchpasst. In den schlechten Krimis gerät der Held gleich beim ersten Versuch an eine Uniform, die genau seine Größe hat. Außerdem ist das Gebäude, in das ich hineinwill, kein Krankenhaus, sondern eine Klinik, die keine Notfälle aufnimmt. Es gibt also keinen Ambulanzdienst.«
»Wie wollen Sie dann vorgehen?«
»Auf eine Weise, bei der Sie mir ganz und gar nicht nützlich sein können – außer im allerletzten Moment …«
»Das heißt?«
»Wenn ich wieder herauskomme. Ich bitte Sie, sich vor dem Eingang zu postieren – startbereit.«
»Und wenn sie das Nummernschild notieren?«
»Glauben Sie denn, die werden Anzeige erstatten?«
Ann gab keine Antwort. Sie war verletzt. Jeff hatte sie auf ihren Platz verwiesen, freilich ohne den kränkenden Hochmut, den er sonst an den Tag zu legen pflegte. War das ein Zeichen dafür, dass er umgänglicher wurde, oder hatte sie sich so albern benommen, dass nicht einmal er sie deshalb abkanzeln mochte? Die Vorschläge, mit denen sie beweisen wollte, wie nützlich sie ihm sein konnte, waren bloß billige Kinoklischees gewesen und hatten nichts mit Polizeitechniken zu tun. Aber Jeffs Vorhaben war weit entfernt von dem, was ein Vertreter des Gesetzes tun sollte. Ann fühlte sich verloren. Sie warf Jeff einen verstohlenen Seitenblick zu. Er saß reglos und schweigend da und schien sich zu konzentrieren. Plötzlich zuckte er zusammen.
»Jetzt«, murmelte er.
Ann sah zur Eingangstür der Klinik. Sie öffnete sich, und zwei uniformierte Angehörige des Sicherheitsdienstes traten heraus. Vermutlich war es Zeit für die Wachablösung. Jeff sprang aus dem Wagen und rannte auf sein Ziel zu. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, änderte er seine Strategie und begann zu torkeln wie ein Betrunkener. Die beiden Männer drehten sich zu ihm um. Einer deutete ein verächtliches Lächeln an, das ihm aber schnell verging: Mulligan hielt ihm seine Pistole an die Schläfe und stieß die beiden ins Innere der Klinik.
Ann parkte gegenüber dem Eingang. Es verging eine halbe Stunde, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam. Ungeduldig wartete sie auf ihren Komplizen, den Fuß schon auf dem Gaspedal, um sofort starten zu können. Mit jeder Sekunde, die verstrich, steigerte sich ihre Sorge. Wenn man ihn nun überwältigt hatte? Oder angeschossen? Wenn Jeff starb …
Plötzlich hörte sie Schüsse, und die Glastür zerbarst in tausend Splitter. Ohne zu denken, ließ Ann den Motor an. Jeff rannte aus dem Gebäude, und Ann, die den Augenblick wie im Zeitlupentempo erlebte, bewunderte die Geschmeidigkeit und Harmonie seiner Bewegungen. In der Aktion wirkte dieser Mann geradezu anmutig.
Jeff sprang in den Wagen.
»Nicht rasen, normales Tempo«, befahl er, als Ann lospreschen wollte. »Die brauchen noch ein Weilchen.«
»Wohin?«, fragte sie, um Beherrschung bemüht.
»Zu mir.«
Sie fuhr schweigend und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
In Jeffs Wohnung ließ sie sich auf die Couch fallen.
»Nun?«
Jeff zog eine Festplatte aus seiner großen Jackentasche.
»Wollen wir doch mal sehen, ob sich die Sache gelohnt hat.«
Er schloss sie an seinen Computer an und begann zu tippen. Ann stand auf, um über seine Schulter zu schauen.
Auf dem Bildschirm erschienen Krankenakten. Jeff ging alle Namen durch, und Ann war beeindruckt von der Zahl der Berühmtheiten aus Politik, Wirtschaft, Theater und Film, die sich in dieser Klinik hatten behandeln lassen.
Dann tauchte das Dossier von Henry Buchanan auf.
Einweisungsdatum: Mittwoch, 7. März 2007.
Entlassungsdatum: Dienstag, 13. März.
Diagnose …
Erschöpft rieb sich Ann die Augen. Das Unglaubliche stand da, in Großbuchstaben in Henry Buchanans Akte geschrieben:
AMYOTROPHISCHE LATERALSKLEROSE
Eine ganz und gar unheilbare Krankheit.
Von welcher der Geschäftsmann genesen war.
Jeff und Ann beratschlagten bis zum frühen Morgen. Die Gesundung von Buchanan hatte wirklich etwas Mysteriöses. Er verheimlichte etwas. Nichts bewies indes, so betonte Ann, dass diese Angelegenheit auch nur das Geringste mit dem Tod von Lucie Milton zu tun hatte. Allerdings musste sie zugeben, dass es die Mühe wert war, der Sache auf den Grund zu gehen. War sie davon überzeugt? Oder redete sie
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