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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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beiden Türme der Kathedrale beherrschten die Ciudad Juárez. Das im Kolonialstil erbaute Gotteshaus besaß Lautsprecher, über die religiöse Lieder und Gebete auf Spanisch ertönten. Der von zahlreichen Bars gesäumte Platz, vor denen Prostituierte flanierten, war voller Stände mit Obst, Gemüse, kunsthandwerklichen Souvenirs, Kleidung und HiFi-Zubehör. Jeff und Ann bummelten kurz über den Markt. Bald wurde Jeff von einem Mann angesprochen, den er grob abwies.
    »Was wollte er?«, fragte Ann.
    »Er hat mir erstklassigen Shit aus Kolumbien angeboten.«
    Ann deutete auf die Überwachungskameras, die an einem hohen Masten in der Mitte des Platzes angebracht waren.
    »Hindert sie das nicht?«
    »Diese kleinen Händler arbeiten für die Mafia von Juárez, die wiederum mit den Industriellen unter einer Decke steckt und die Politiker mit Dollars oder Kugeln bedenkt – je nach Kooperationsbereitschaft. Es ist eine der gewalttätigsten kriminellen Vereinigungen der Welt. Die Kameras und die Polizisten, die hier patrouillieren, wachen nur darüber, dass die Geschäfte ruhig und diskret abgewickelt werden.«
    »Und gehen auch all die Vermissten in dieser Stadt auf das Konto der Mafia?«
    »Zum Teil. Es gibt sehr viele Morde. Aber in Juárez fällt auf, dass sie vor allem an Frauen begangen wurden.«
    »Werden hier mehr Frauen als Männer umgebracht?«
    »Nein, die Mörder sind, wie überall, zumeist Männer, die bei irgendwelchen Abrechnungen oder simplen Schlägereien vorwiegend ihresgleichen töten. Im restlichen Mexiko ist eines von zehn Mordopfern eine Frau, hier sind es vier von zehn. Und die Polizei spricht meist nicht von Mord, sondern von Verschwinden.«
    »Warum?«
    »Es gibt keine Leichen – also auch kein Verbrechen. Man pflegt sie nämlich in eine chemische Mischung zu tauchen, die man lechada nennt. Dabei handelt es sich um eine ätzende Flüssigkeit, die aus Brennkalk und Säure besteht. Haut und Knochen lösen sich auf, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.«
    »Haben Sie sich wegen Ihrer Herkunft für diese Stadt interessiert?«
    »Meine Herkunft spielt keine Rolle. Das Einzige, was mich interessiert, ist das Verbrechen. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr verbringe ich meine Zeit damit, die Perversität der Welt zu studieren. Ich könnte Ihnen ebenso viel über das Cali-Kartell oder die georgische Mafia erzählen.«
    Sie setzten sich auf eine Caféterrasse. Jeff bestellte ein Pulque , Ann einen Tequila.
    »Und wie wollen Sie den Cousin Ihrer Freundin ausfindig machen, wenn seine Leiche in einem chemischen Bad aufgelöst wurde?«
    »Einige der Vermissten leben noch.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Man findet sie bisweilen. Leider sind sie oft nicht mehr in der Lage zu erzählen, was sie durchlebt haben. Manche sind völlig verrückt – das reicht den Ermittlungsbehörden als Vorwand, um Zeugenaussagen keine Bedeutung beizumessen. Wenn man aus der Hölle zurückkehrt, ist es besser zu schweigen und so zu tun, als hätte man alles vergessen …«
    »Aus der Hölle?«
    »Manche reden von Folter, andere von schwarzen Messen und Menschenopfern … Einigen von ihnen fehlen ein oder mehrere Organe. Der Organhandel ist eine blühende Industrie. Schwer zu sagen, was man glauben kann.«
    Ann leerte ihr Glas in einem Zug.
    Das Abendessen verbrachten sie schweigend, dann gingen sie früh schlafen.
    Am nächsten Nachmittag ging Jeff aufs Revier. Dort bekam er keine genaue Anschrift – die Straße, die er suchte, hatte keinen Namen –, sondern einen Plan der Colonia Anapra, auf dem mit Pfeilen und Kreuzen der Weg zu Raúl Espejos Frau angezeigt war.
    Sie nahmen den einzigen Bus, ein altes, klappriges Modell, das in dieses Viertel fuhr, und stiegen an der Endhaltestelle aus. Anders als in der restlichen Stadt waren die Straßen dieser riesigen Armensiedlung nicht asphaltiert, sondern bestanden aus gestampftem Lehm. Die beiden Ermittler fanden sich nur schwer zurecht und brauchten zwei Stunden, um Teresas Haus zu finden. Es lag am nördlichen Rand des Viertels, keine hundert Meter von der amerikanischen Grenze entfernt, die aus Bahnschienen und einem einfachen Stacheldrahtzaun bestand. In südlicher Richtung sah man die Chihuaha-Wüste. Sie erblickten drei kleine weiße Häuser mit Wellblechdächern und klopften an dem ersten. Eine Frau mit üppigem schwarzem Haar und einem durchdringenden Blick öffnete die Tür einen Spaltbreit.
    »Teresa Esteban Morales?«
    »Was wollen Sie?«, fragte sie auf

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