Tödliche Feindschaft
dem Gewissen habt? Daß ihr ihn erpreßt habt? Daß ihr mit anderen Menschen spieltet, um euch zu bereichern? Ja, Charlotte, du weißt das noch nicht. Ich werde dich über alles aufklären.« »Das geht dich überhaupt nichts an«, rief Eberstein wütend. »O doch, das geht jeden an. Jeden, der ein Mensch ist.«
»Ich habe nicht gewußt«, sagte Eberstein, »daß du dich neuerdings auch noch zum Anwalt von Juden aufschwingst.«
»Du weißt manches nicht, du Mann der großen Worte. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Christen. Ich weiß nur, daß die meisten Juden zehnmal besser sind als du. — Nun, ich bin nicht gekommen, um mit dir über solche Dinge zu rechten. Gib das Versprechen, das ich von dir forderte, und du kannst unbehelligt gehen. Mich gelüstet nicht nach Rache.« Eberstein biß die Zähne zusammen und — gab dann sein Ehrenwort, nichts zu verraten. Eine Minute später war er bereits außer Sicht.
»Michel, Michel, Michel«, rief Charlotte, des jungen Leutnants Baum nicht achtend, »wie froh bin ich, daß ich dich wiederhabe, wie glücklich, wie glücklich!«
Er legte seine braune Hand auf ihren Kopf und streichelte sie zärtlich.
»Zehn Jahre habe ich darauf gewartet«, sagte er langsam und leise. »Zehn Jahre habe ich davon geträumt, dich einmal wieder in meine Arme nehmen zu können. Zehn Jahre sind eine lange Zeit.«
»Sie sind ein Nichts, Michel. In dieser Minute sind sie verflogen wie Schall und Rauch. Ich ahnte immer, daß nicht alles wahr war, was Eberstein erzählt hat. Ich wollte, daß du am Leben seist. Und innen drin, ganz tief innen, da war jemand, der mich immer wieder an dich erinnerte.« »So muß ich eigentlich diesem Jemand Dank sagen«, lächelte Michel. »Werden wir nun wohl zusammenbleiben?« »Nichts kann mich mehr von dir trennen.« »Auch nicht, wenn du mit mir nach Amerika gehen sollst?«
Charlotte war im ersten Augenblick etwas betroffen. Aber dann trat ein Glanz in ihre Augen. »Wenn es sein muß, Michel, auch dann.«
»Es muß sein, mein Kind, denn in Kassel kann ich nicht bleiben. Irgendwann würde ich
auffallen. Irgendwann würde sich jemand daran erinnern, daß ich früher einmal aus eigener
Machtvollkommenheit der Armee adieu gesagt habe.«
Charlotte nickte.
In einiger Entfernung stand der Premierleutnant Baum. Umständlich machte er sich am
Sattelknauf zu schaffen. Als er die Pause bemerkte, die in der Unterhaltung der beiden
eingetreten war, wandte er sich rasch um.
Er ging auf Michel zu und verbeugte sich höflich.
»Mein Name ist Richard Baum. — Ich — ich — bin Euer Vetter.« Michel betrachtete ihn sich von oben bis unten.
»Deine Uniform ist schmuck und sauber«, sagte er. »Wenn man doch von dem Menschen, der darin steckt, dasselbe behaupten könnte !«
Richard Baum blickte zu Boden. Offensichtlich schämte er sich.
»Ich weiß, daß ich große Schlechtigkeiten begangen habe. Aber Eberstein war mein Freund. Und
er war nicht zuletzt mein Freund, weil er mir immer von der Freundschaft zwischen ihm und
Euch vorgeschwärmt hatte.«
»Er ist ein verdammter Seelenverkäufer.«
»Ja, ich habe es gemerkt. Und meine Freundschaft für ihn ist vorbei.«
»Nun, dann reich mir die Hand, Vetter. Vielleicht ent-wickelst du dich doch noch zu einem ganz vernünftigen Menschen. Fehler macht jeder einmal. Besonders, wenn er noch so jung ist wie du.«
»Ich danke Euch, Herr Vetter.« Michel schlug ihm auf die Schulter. »Du brauchst mich weder Herr noch Euch zu nennen. Ich hasse diese Konventionen. Du bist ein Baum, und ich bin ein Baum. Wir gehören doch zusammen. Also sag du zu mir und Michel.«
Richards junge Augen strahlten. Er war nur leichtsinnig, aber er war nicht schlecht. Gern schlug er in die ihm gebotene Hand ein.
»Wie bist du eigentlich zu dieser Uniform gekommen?« fragte Michel. »Es war seit je mein Wunsch, Offizier zu werden.«
»Welch ein Wunsch für einen Baum!« rief Michel verwundert aus. »Ist es schlecht, Offizier zu sein?«
»Nein, nein, aber was hat man davon? Man vertrödelt seine Zeit mit unnützen Dingen.« »Unnütze Dinge? — Ist der Ruhm der Schlacht ein unnützes Ding?« »Oh, gewiß, das unnützeste von allen.«
»Aber Heldentum? — Ist Heldentum nicht das Höchste auf der Welt?« Michel lachte laut.
»Oh, mein Junge, glaubst du wirklich, daß es das Höchste sein kann, anderen Menschen das
Leben zu nehmen und dafür belohnt zu werden?«
»Die anderen sind aber Feinde.«
»Feind ist nur, wer mich
Weitere Kostenlose Bücher