Tödliche Flammen: Roman (German Edition)
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Sie hielt immer noch das Glas in der Hand und ging interessiert hinunter auf den Gehsteig.
Reena war so neugierig, dass sie beim Weitergehen nicht einmal daran dachte, was sie von ihrer Mutter zu hören kriegen würde, wenn sie mitten in der Nacht allein auf die Straße ging.
Ihr Herz begann heftig zu klopfen, als das Gesehene sich langsam den Weg durch ihre träumerische Schläfrigkeit bahnte. Rauch drang aus der offen stehenden Vordertür, und die Lichter, die sie sah, waren Flammen.
»Feuer.« Zuerst war es nur ein Flüstern, dann schrie sie das Wort heraus, während sie zurück zum Haus und zur Tür hineinrannte.
Ihr ganzes Leben lang würde sie nicht vergessen, wie sie mit ihrer Familie dabeistand, als das Sirico abbrannte. Das Brüllen des Feuers, das durch zerborstene Fensterscheiben schlug und in schnellen goldfarbenen Türmen emporloderte, hallte in ihren Ohren wider. Sirenen heulten, Wasser zischte aus dicken Schläuchen, überall Weinen und Geschrei. Aber das Geräusch des Feuers, seine Stimme, übertönte alles andere.
Sie konnte das Feuer in ihrem Bauch spüren wie ihre Krämpfe. Das Erstaunen und Entsetzen, die schreckliche Schönheit des Feuers pulsierten in ihr.
Wie war es wohl in seiner Mitte, dort, wohin die Feuerwehrmänner gingen? Heiß und dunkel? Undurchdringlich
und hell? Einige der Flammen sahen aus wie große Zungen, die hervor- und zurückschnellten, als könnten sie schmecken, was sie versengten.
Rauchschwaden stiegen wabernd in die Luft. Der Qualm brannte in ihren Augen und in ihrer Nase, und der wirbelnde Tanz der Flammen blendete sie. Sie war immer noch barfuß, und der Asphalt fühlte sich an wie glühende Kohlen. Aber sie konnte nicht zurücktreten, konnte ihren Blick nicht von dem Spektakel abwenden, das einem verrückten, wilden Zirkus gleichkam.
Irgendetwas explodierte, und weitere Schreie folgten. Die Feuerwehrmänner, ihre Gesichter unter den Helmen geschwärzt von Rauch und Asche, bewegten sich wie Gespenster im Dunst des Qualms. Wie Soldaten, dachte sie. Es sah aus wie in einem Kriegsfilm.
Und doch glitzerten die Wasserfontänen, die durch die Luft spritzten.
Sie fragte sich, was dort drin geschah. Was machten die Männer? Was tat das Feuer? Wenn es sich um einen Krieg handelte, versteckte es sich, um dann zu einem Angriff hervorzuspringen, goldfarben glänzend?
Asche schwebte herunter wie schmutziger Schnee. Gebannt trat Reena einen Schritt nach vorne.
Ihre Mutter packte sie am Armgelenk und hielt sie zurück. Sie legte einen Arm um sie und zog Reena an sich.
»Bleib hier«, murmelte Bianca. »Wir müssen zusammenbleiben.«
Aber sie wollte es einfach sehen. Der Herzschlag ihrer Mutter dröhnte wie ein hektischer Trommelwirbel in ihrem Ohr. Sie drehte den Kopf und hob das Gesicht, um zu bitten, ob sie noch näher hingehen konnte. Nur noch ein wenig näher.
Aber das Gesicht ihrer Mutter spiegelte keine Aufregung wider. Nicht Staunen ließ ihre Augen schimmern, sondern Tränen.
Sie war wunderschön; das sagten alle. Doch jetzt wirkte ihr Gesicht, als sei es aus einem festen Material gemeißelt, mit harten, tiefen Linien. Die Tränen und der Rauch hatten ihre Augen gerötet, und ihr Haar war mit grauer Asche bedeckt.
Neben ihr stand Dad und legte ihr die Hand auf die Schulter. Bestürzt sah Reena, dass auch er Tränen in den Augen hatte. Sie sah den Schein der Flammen darin, als wäre es ihnen irgendwie gelungen, in ihn hineinzukriechen.
Das war kein Film, es war Realität. Etwas, was ihnen gehörte, schon ihr ganzes Leben lang gehört hatte, brannte direkt vor ihr nieder. Jetzt konnte sie über das hypnotisierende Licht und das Flackern des Feuers hinausschauen und die schwarzen Schlieren an den Wänden des Sirico sehen, den nassen Ruß, der die Marmorstufen befleckte, die gezackten Glasscheiben.
Auf den Gehsteigen standen die Nachbarn. Die meisten trugen Nachtwäsche. Einige hielten Kinder oder Babys auf dem Arm. Manche weinten.
Plötzlich fiel ihr ein, dass Pete Tolino mit seiner Frau und dem Baby in dem kleinen Apartment über dem Lokal wohnte. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie nach oben blickte und den Rauch aus den oberen Fenstern quellen sah.
»Daddy! Daddy! Pete and Theresa.«
»Es geht ihnen gut.« Er hob sie hoch, als sie sich von ihrer Mutter losriss. So, wie er es immer getan hatte, als sie noch klein war. Und er drückte das Gesicht gegen ihren Nacken. »Es geht allen gut.«
Beschämt verbarg sie das Gesicht an seiner Schulter.
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