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Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Titel: Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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und verletzte ihn schwer. Da die Bochumer Uniklinik 1979 noch nicht über eine Kinderpsychiatrie verfügte, wurde Kanther ins einhundert Kilometer entfernte Landeskrankenhaus Eickelborn gebracht und dort wie ein Erwachsener therapiert. Acht Wochen später fuhr man ihn mit der Diagnose drogeninduzierte Psychose und einigen Packungen Haldol ins Albanus Kinderheim zurück. Seit dieser Zeit nahm er Antipsychotika. Bis vor zwei Wochen – als er ohne besonderen Grund damit aufgehört hatte.
    *
    Die JVA Offenbach, im Rückgebäude des ehemaligen Amtsgerichtes untergebracht, war ein Gefängnis auf Abruf. Der neue – von den Medien reißerisch titulierte – ›Superknast‹ in Preungesheim stand kurz vor der Fertigstellung, und bald würde man die Frauen, die ihre letzten Tage in einem freiheitlichen Staatswesen ironischerweise in Unfreiheit verbrachten, dorthin überstellen. Jedenfalls diejenigen, die nicht vorher nach Afghanistan, Somalia oder in den Iran abgeschoben worden waren.
    Nora, die gestern Abend nach Ablauf der Besuchszeit keinen Einlass mehr erhalten hatte, war heute Morgen, noch vor Arbeitsbeginn, zurückgekehrt. Nun wurde sie von der Schließerin durch einen Gang geleitet, von dem rechts und links je sechs hellblau lackierte und an den Schlössern vielfach ausgebesserte Zellentüren abgingen. In den frei liegenden Heizungsrohren an der Wand gluckerte es bedrohlich, der Geruch nach Schimmel und Feuchtigkeit drang aus jeder Pore des alten Mauerwerks, und dort, wo infolge der Monotonie des Gefängnisalltags der Bodenbelag in den Zellen durchgescheuert war, verliefen dunkle Trampelpfade: von den Betten zu den Schreibtischen, zu den Schränken und schließlich zur Tür. Da zurzeit Hofgang war, standen die Türen offen. Bis auf eine waren alle Zellen leer.  
    Nora blieb auf der Schwelle stehen. Links neben der Tür war ein Alarmknopf in die Wand eingelassen, irgendein Witzbold hatte mit Kugelschreiber Pizzaservice danebengekritzelt.  
    Das Mädchen lag auf dem unteren Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und summte leise eine Melodie. Nora klopfte. Das Mädchen sah überrascht auf. In dieser Art Gefängnis bekam man, wenn überhaupt, nur Besuch von seinem Anwalt.
    Nora trat ein und kramte eine Schachtel Zigaretten, die sie vorsorglich an einer Tankstelle gekauft hatte, aus der Tasche.
    »Sollen wir rausgehen und eine Runde drehen?«
    Das Mädchen grapschte nach den Zigaretten wie nach einem Bündel von Hunderteuroscheinen.  
    Auf dem Tisch lag ein Magazin, von der aufgeschlagenen Hochglanzseite grinste Nora der amerikanische Schauspieler Eddie Murphy entgegen.
    Mit der Schließerin im Rücken folgten die Frauen einem weiteren dunklen Pfad nach draußen.
    Der Hof umfasste das Gebäude wie ein U. In kleinen Gruppen standen die Insassinnen zusammen, offensichtlich nach Kulturkreisen getrennt: Schwarzafrikanerinnen, Frauen in Burkas, und an der Ziegelmauer lehnten ein paar Teen-ager, die sich nur durch ihren harten Blick von ihren Altersgenossinnen in Freiheit unterschieden.
    Das Mädchen ließ sich Feuer geben. Es stieß den Zigarettenrauch durch den Mund aus und sog ihn durch die Nase wieder ein.  
    Die Polizistin streckte der jungen Frau die Hand entgegen. »Ich heiße Nora.«
    »Irina.« Kraftlos erwiderte sie den Gruß und sah dann zu den Stacheldrahtrollen hoch oben auf der Mauer empor.
    »Ich nie Gefängnis. Nicht Deutschland, nicht Ukraine.«
    »Schöner Mist«, sagte Nora unschlüssig.
    »Ist wie Frauenhaus«, scherzte Irina und deutete zu der Beamtin, die an der Mauer Wache schob. »Nette Frau helfen und Maksym können nicht rein.«
    Nora grinste. Eine Weile lang standen sie beide schweigend da. Irina steckte sich an der Glut die zweite Zigarette an.
    Dann fragte sie unvermittelt: »Warum kommen?«
    Nora sah sich lange im Gefängnishof um. Von einer der Mauern starrte das dunkle Auge einer Kamera auf sie herab, es schien fast, als werde ausschließlich sie beobachtet. Der Gedanke löste ein Prickeln in ihrem Nacken aus und sie fasste sich endlich ein Herz. Sie holte eine Kopie von Elena Pawlenkos Passbild hervor und hielt sie Irina hin.  
    Das Mädchen starrte eine ganze Weile auf das schmale Gesicht und sog dann heftig an seiner Zigarette. »Eli«, war der einzige Kommentar.
    »Kanntet ihr euch gut?«
    Irina zuckte mit den Schultern.
    »Hat sie mal erwähnt, dass sie sich das Leben nehmen will?«
    Irina schüttelte den Kopf.
    Nora seufzte.
    »Nix viel reden«, sagte Irina leise. »Viel

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