Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Arbeit. Viel schlafen.« Der Tabak knisterte, so gierig sog sie an ihrer Zigarette. Nora wartete, doch Irina schien ganz in sich versunken zu sein.
»War jemand bei ihr, kurz bevor sie sich erhängt hat?«, bohrte Nora nach. »Ein Mann vielleicht?«
Irina musterte Nora, dann erhellte sich ihr Gesicht, als wäre ihr mit einem Mal etwas eingefallen. Sie trat einen Schritt zurück und legte den Kopf schräg. »Wenn ich sagen, ich bleiben Deutschland?«
Die Worte durchfuhren Nora wie ein elektrischer Schlag: Das Mädchen wusste etwas! »Was hast du gesehen?«
Irina drehte wieder abwesend eine Haarsträhne zwischen den Fingern. »Ein Mann«, rückte sie endlich heraus.
»Und was hat der gemacht?«
»War bei Eli. Bevor …« Irina zog den ausgestreckten Zeigefinger quer über den Hals.
Nora sah sie skeptisch an. »Wie sah der Mann aus? Hast du einen Namen gehört?«
»Ich sagen nur, wenn ich bleiben Deutschland.«
»Irina, Eli ist tot. Der Kerl läuft frei herum und bringt vielleicht noch mehr Frauen um.«
Aber Irina blieb eisern. Nur wenn man ihr zusicherte, nicht abgeschoben zu werden, wollte sie eine Personenbeschreibung des Mannes liefern. Demonstrativ setzte sie sich auf den einzigen freien Platz auf einer Bank mit drei Schwarzafrikanerinnen, deren aufgeregtes französisches Geschnatter augenblicklich verstummte.
Irina ignorierte die Polizistin vollkommen.
Nora wählte Hartmanns Nummer aus ihrem Adressver zeichnis aus, aber im Gefängnis gab es keinen Handyempfang. Vermutlich war ein Störsender installiert, um unerlaubte Kontakte der Insassen mit der Außenwelt zu erschweren. Nora ließ sich von einer Schließerin nach draußen begleiten.
Hartmann stellte ihre Geduld auf eine harte Probe, es klingelte ewig. Ein Kleinwüchsiger fuhr auf einem Roller an ihr vorbei, Nora zwang sich, ihm nicht nachzusehen.
Endlich ging Hartmann ans Telefon. »Bist du immer noch in Offenbach?«
»Werner, das Mädchen weiß etwas.«
»Lass hören.« In seiner Stimme schwang professionelle Vorsicht mit.
»Sie sagt, sie hat einen Mann gesehen, kurz bevor Elena gefunden wurde. Vielleicht ist sie doch umgebracht worden.«
»Ein Mann in einem Bordell ist nichts Ungewöhnliches.«
»Sie weiß etwas, ich bin sicher.«
»Hast du eine Personenbeschreibung? Oder einen Namen?«
»Das ist das Problem: Sie will nur aussagen, wenn sie nicht zurückgeschickt wird.«
Hartmann schwieg lange, bevor er antwortete. »Sie weiß nichts, Nora. Die sieht in dir nur einen Silberstreif am Horizont.« Er klang streng. Und höchst verärgert.
Obwohl ihr Chef das nicht sehen konnte, schüttelte Nora verzweifelt den Kopf. »Wenn ihre Aussage dazu führt, dass wir den Mörder dingfest machen, können wir ihr dann helfen? Darf ich ihr das zusagen?«
Hartmann schnaubte in den Hörer. »Hör endlich auf damit! Ich möchte, dass du dich in dein Auto setzt und an deinen Arbeitsplatz zurückkehrst. Jetzt sofort! Kein weiteres Gespräch mit dieser Frau.« Er legte auf.
Nora trat mit dem Fuß gegen die Backsteinmauer. Und dann noch ein zweites Mal. Wann hatte sie sich das letzte Mal so gegängelt gefühlt? Wenn Hartmann nur selbst hier sein und mit Irina sprechen könnte. Aber er war so voreingenommen, dass das vermutlich gar keinen Unterschied machte.
Als der Wachposten sie wieder durch die Gittertür ins Gefängnis ließ, war ihr bereits klar, dass sie für den Rest des Lebens mit ihrem schlechten Gewissen klarkommen musste.
Eine Viertelstunde später verließ sie die JVA Offenbach wieder, diesmal mit einer hastig hingekritzelten Personenbeschreibung.
»Wann ich kommen raus?«, rief Irina ihr hinterher.
Nora antwortete nicht. Ihr Mund war ein schmaler Strich, darüber glänzten feine Schweißperlen.
Bevor sie in den Wagen stieg, knüllte sie den Zettel mit Irinas Beobachtungen zusammen und warf ihn in den Mülleimer.
Ein Schwarzer im Anzug, Mitte vierzig, etwa eins siebzig groß, schmales Gesicht, kurz geschorene Haare, Schnauzbart, sehr weiße Zähne.
Nora bezweifelte, dass Eddie Murphy es nötig hatte, in einem illegalen Puff im Bahnhofsviertel abzusteigen.
Am Ortsausgang von Offenbach geriet sie mit siebzig in eine Radarfalle und wurde herausgewunken. Als sie die Quittung ins Portemonnaie steckte, lachte sie über ihre Naivität, bis ihr Tränen der Wut in die Augen stiegen.
9. März
Maksym sah seinem Gegner immer in die Augen, niemals auf die Arme oder Beine. Es war viel schwieriger, gleichzeitig zwei Füße und zwei
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