Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
stieß einen erstickten Schrei aus.
10. März
Der Anruf beim Kriminaldauerdienst ging um vier Uhr morgens ein. Zwei Amateurjäger waren in einem Waldstück nahe Kronberg nicht nur auf ein paar verrückt gewordene Wildschweine, sondern auch auf eine Frau gestoßen, die tot vom Ast einer Buche hing. Der KDD schickte einen zuständigen Kommissar der Nachtschicht zum Fundort: Gideon Richter. Obwohl der eigentlich in der Innenrevision arbeitete, gehörte es für alle Neulinge zum guten Ton, für gelegentliche Einsätze im KDD bereitzustehen.
Richter bog, den Anweisungen des Navigationssystems folgend, von der Bundesstraße vierhundertfünfundfünfzig seitlich in einen Wirtschaftsweg ein. Steine und Äste knackten unter den Rädern des Wagens. Wenige Sekunden später hatte er sein Ziel erreicht und stieg aus.
Die Lichtung war in Scheinwerferlicht getaucht, drei Streifen- und ein Notarztwagen waren bereits eingetroffen. Blaulichter blinkten wichtig, irgendjemand war auf die grandiose Idee gekommen, zwischen den Bäumen des verlassenen Waldstücks Absperrband zu spannen. Es roch nach feuchtem Holz.
Richter duckte sich unter der Absperrung durch und hielt dem ersten Streifenpolizisten, der sich ihm in den Weg stellte, seinen Dienstausweis unter die Nase. Man führte ihn zum Fundort. Die junge Frau hing an einem Ast in etwa zweieinhalb Metern Höhe. An ihrer Kopf- und Körperhaltung stimmte etwas nicht, aber Richter kam nicht sofort darauf, was es war. Die Lider der Frau waren dunkel verfärbt, ihre Haut schimmerte bleich und war mit violetten Flecken übersät. Die Leiche war lediglich mit einem Slip und einem dünnen T-Shirt bekleidet. Unterhalb ihres Körpers lag eine herausgerissene Baumwurzel, auf die sie sich möglicherweise gestellt und die sie dann weggestoßen hatte. Daneben ein Stapel Kleidung.
Richter ging um die Leiche herum und musterte sie von allen Seiten, während der Kollege von der Spurensicherung Fotos machte, erst vom ganzen Körper, dann von einzelnen Details wie Händen und Füßen.
Richter betrachtete das Gesicht der toten Frau. Ihr Kopf neigte sich nach vorne, der Knoten des Seils lag unter dem rechten Ohr. Die Ausrichtung des Körpers schien ungewöhnlich, er war leicht vornübergebeugt, statt gerade herunterzuhängen. Das war es, was ihn irritiert hatte.
Das Klingeln des Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Ein flüchtiger Blick auf das Display kündigte seinen Dienststellenleiter an.
»Richter? Wir haben hier eine kleine Telefonkonferenz organisiert. Neben mir sitzt Kollege Hartmann, Leiter der fünften Mordkommission, Sie haben sich schon kennengelernt. Wie sieht’s bei Ihnen aus?«
»Eine junge Frau, Anfang zwanzig. Hängt am Ast einer Rotbuche, glaube ich.«
»Sie glauben , dass sie daran hängt?«, wunderte sich Hartmann.
»Nein, ich glaube, dass es eine Rotbuche ist. Es sieht so aus, als hätte sie sich erhängt. Oder es soll so aussehen.«
Er hörte Hartmann und seinen Chef im Hintergrund tuscheln.
»Vielleicht besteht eine Verbindung zu der toten Ukrainerin im Bahnhofsviertel. Staatsanwalt Dr. Keitel meint, Sie sollen die Leiche in die Gerichtsmedizin schicken, wenn die Spusi fertig ist.«
Richter ärgerte sich. Er hätte es vorgezogen, den Staatsanwalt persönlich zu informieren, um sein Kontaktnetz auszuweiten.
»Wenn es Zeugen gibt, vernehmen Sie die. Und kommen Sie danach direkt ins Präsidium«, fuhr sein Chef mit weiteren Anweisungen fort. »Wir haben die Ermittlungsgruppe Ukraine ins Leben gerufen. Im Wesentlichen setzt sie sich aus Mitarbeitern der MK 5 zusammen. Hartmann und ich sind übereingekommen, Sie bis auf Weiteres für diese Gruppe abzuordnen. Das hat im Moment höchste Priorität.«
Richters Laune sank mit jedem Wort seines Chefs. Er hatte sich für die Revision entschieden, damit er eben nicht nächtens durch den Wald kriechen und öde Ermittlungsarbeit leisten musste, sondern anderen aus der sicheren Warte auf die Finger klopfen konnte. Die Mitwirkung im KDD war nach seinem Geschmack schon Zumutung genug. Und nun hatte man ihn auch noch den Launen eines kleinen Kripoteamleiters ausgesetzt. Lieber erteilte er selbst Befehle, als welche entgegenzunehmen. Wie viel schlimmer konnte es werden?
»Zum Team gehört übrigens auch unsere Polizeipsychologin Nora Winter. Ich verlasse mich darauf, dass Sie beide gut zusammenarbeiten«, fuhr die Stimme am anderen Ende fort. Richter war sich nicht sicher, ob ein sarkastischer Unterton in Hartmanns Stimme
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