Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
weiß gestrichenen Holzbalkon hinauf. Hinter ihr sausten Fahrradfahrer und Skater auf Rollerblades vorbei, Mütter kauften ihren quengelnden Kindern am Kiosk ein Eis, und über allem lag, obwohl es erst Mitte März war, bereits eine Art heiterer Urlaubsstimmung. Richter saß oben auf dem umlaufenden Balkon, sie erkannte sein markantes Kinn. Vor ihm auf dem Tisch stand ein halb leeres Glas Apfelwein, aus dem Aschen-becher stiegen Rauchfäden auf. Es überraschte sie, dass er rauchte. Aber sie freute sich, endlich eine persönliche Schwäche bei Mr. Perfect entdeckt zu haben.
Ohne zu fragen, nahm sie an seinem Tisch Platz. Wenn er sich über ihr Auftauchen ärgerte, verbarg er es gut. Nora beschloss, etwas für ihre Verhältnisse Verwegenes zu tun, und bestellte im Dienst ein Bier. Als das Pils mit seiner appetitlichen Schaumkrone vor ihr stand, prostete sie ihm zu.
Er prostete verhalten zurück. »Ist eigentlich nicht meine Art, am Nachmittag einen Äppler zu trinken«, entschuldigte er sich.
»Meine auch nicht«, antwortete Nora und ergänzte spitzzüngig: »Ich bevorzuge Bier.«
Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen. Dann nahmen beide einen großen Schluck. Das kühle bittere Getränk tat gut.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie rauchen«, sagte Nora.
»Nur, wenn es etwas zu feiern gibt«, erwiderte er mit Grabesstimme.
»Was gibt es denn zu feiern?«
»Meine Rückkehr in die Revision.«
Nora machte ein verdutztes Gesicht.
»Ich habe Hartmann darum gebeten, aus der Sonderkommission ausscheiden zu dürfen«, sagte Richter. »Er hat zugestimmt.«
»Sie geben aber schnell auf. So hatte ich Sie gar nicht eingeschätzt.« Eigentlich hatte sie erwartet, Genugtuung zu empfinden. Stattdessen verspürte sie Mitleid.
»Kurylenko festzunehmen und ihn dann noch zu provozieren, war ein Fehler. Das war allein meine Schuld. Sie haben mich gewarnt, aber ich habe nicht auf Sie hören wollen. Jetzt ziehe ich die Konsequenzen.« Verdrossen fügte er hinzu: »Auf andere zu hören, ist nicht gerade eine meiner Stärken.«
Nora lächelte. »Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung.«
»Dafür ist es jetzt zu spät«, sagte Richter bestimmt.
Nora schüttelte den Kopf. »Es ist nie zu spät.« Sie sah auf das Wasser hinaus. Ein kleines Segelboot knatterte mit dem Außenborder den Main hinauf; ein Lastenkahn, so schwer mit Kohle beladen, dass der Rumpf bedrohlich tief im Wasser lag, kam ihm entgegen.
»Ich will ehrlich sein: Eigentlich hatte ich erwartet, dass ich mich freue, wenn Sie aufgeben«, sagte Nora. »Aber interessanterweise ist es nicht so. Sie haben einen Fehler gemacht, aber Fehler macht nur, wer etwas unternimmt. Sie haben nicht lange gefackelt, sondern Kurylenko festgenommen. Wie Sie den Staatsanwalt überrumpelt haben, das hat mich schwer beeindruckt. Das schaffen bei Dr. Keitel nur wenige.«
Sie konnte aus Richters Gesicht immer noch keinen seiner Gedanken ablesen.
»Ich merke doch, dass die Kollegen mich schneiden. Es ist, als wolle keiner mehr etwas mit mir zu tun haben. Der Makel wegen Kurylenko klebt an mir, den werde ich nie wieder los.«
Nora schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass das an der Aktion mit Kurylenko liegt. Die Kollegen haben volles Verständnis dafür, dass man mal den Falschen erwischt. Das ist jedem von uns schon passiert. Für deren Verhalten gibt es andere Gründe.«
»Ach ja? Und welche?«
Nora überlegte einen Moment. Dann entschied sie sich, das Gespräch so offen weiterzuführen, wie sie es begonnen hatte. »Sorry, aber die meisten von uns halten Sie für einen arroganten, von sich selbst eingenommenen Einzelgänger. Sie dulden keine Meinung neben sich und halten alle für Idioten, die die Dinge nicht so schwarz-weiß sehen wie Sie. Keine Ahnung, wie Sie damit in der Ausbildung durchgekommen sind. Aber niemand arbeitet gern mit einem solchen Kollegen zusammen. Polizeiarbeit ist Teamarbeit.«
Richter sah sie deprimiert an.
»Habe ich Sie schockiert?«, fragte Nora belustigt.
»Es ist eine Weile her, dass mir jemand so unverblümt die Meinung gegeigt hat.«
»Wer war diese sympathische Person?«, fragte Nora.
»Meine Exfreundin.«
»Und was hat sie zu Ihnen gesagt?«
»Dass ich ein arroganter, von mir selbst eingenommener Einzelgänger bin. Dass ich alle anderen, die nicht meiner Meinung sind – sie selbst eingeschlossen – für Idioten halte. Und dass ich mir besser einen Hund als eine Freundin zu-legen sollte. Der frisst, was man ihm
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