Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
einmal erzählt, das Geheimnis einer gut gehenden Szenekneipe seien nicht edler Kaffee oder exotische Longdrinks, sondern attraktive männliche Baristas. Die Frauen suchten die Lokale aus, in die ihre Männer sie ausführen durften. Und sie legten Wert auf das gepflegte Aussehen des Personals. Wenn die Theorie stimmte, musste der Laden ziemlich gut gehen.
Kanther breitete die Zeitung auf dem Tresen aus. Gab es Neuigkeiten zu den Todesfällen im Rotlichtmilieu? Meldungen, in denen sein Name genannt wurde?
Ein Paar betrat das Lokal. Die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz trug klassisch elegante Kleidung. Jemand, der besser ins Bankenviertel passte. Sie erinnerte ihn ein wenig an die Studentin aus Giannis’ Kiosk, auch wenn sie ein paar Jahre älter zu sein schien. Ihr Begleiter war ein gut aussehender, groß gewachsener Mittdreißiger mit Kinnbart und dunklem Haar. Dunkle Jeans, Jackett, exklusiv wirkende Schuhe.
Einen Moment lang wunderte sich Kanther über die beiden. Sie passten nicht in diesen Teil des Nordend – nicht um diese Tageszeit!
Dann wurde ihm schlagartig klar, warum. Es mochte ein Vermächtnis seiner fast vergessenen Zeit im Gefängnis sein, aber er erkannte einen Polizisten, wenn er einen sah, auch wenn es heute ein wenig gedauert hatte. Die beiden waren nicht zufällig hergekommen.
Die Angst, Kanthers alte Bekannte, meldete sich zurück.
»Herr Kanther?« Die Polizisten setzten sich rechts und links neben ihn an die Bar und bestellten Kaffee.
»Mein Name ist Nora Winter von der Frankfurter Kriminalpolizei. Das ist mein Kollege Gideon Richter.« Sie deutete auf ihren Begleiter und hielt ihm dann die Hand zur Begrüßung hin.
Kanther schwieg und vertiefte sich demonstrativ in seine Zeitung. Er war darauf vorbereitet gewesen, dass sie ihn aus seiner Wohnung holen würden. In einem vagen Traum letzte Nacht war er in Handschellen an seiner Nachbarin, die das Kind auf dem Arm beruhigte, vorbeigelaufen. Die Treppen hinunter, endlose Treppen, immer hinter den Polizisten her. Sie hatten ihn auf den Rücksitz eines Streifenwagens gestoßen und die Tür zugeschlagen. Eine Tür, die sich von innen nicht öffnen ließ.
Dass eine Kriminalbeamtin sich in einer Kneipe neben ihn setzte und seelenruhig Kaffee trank, während sie ihn befragte, brachte Kanther völlig aus dem Konzept. Dass sie außerdem attraktiv und jung war, machte die Sache nicht leichter.
»Können wir uns unterhalten?«, fragte sie.
»Ist das ein Verhör?«, fragte Kanther zurück, ohne vom Lokalteil aufzusehen. Er versuchte, lässig zu klingen.
Aber die Polizistin durchschaute ihn. »Erwarten Sie eins?«
Sie ist nicht dumm, dachte Kanther, und wenn ich so weitermache, belehrt sie mich in einer halben Stunde über meine Rechte. Also behielt er die Antwort für sich.
Sie trank ihren Espresso nicht sofort. Stattdessen zog sie ein Handy aus der Tasche. Sie drückte einige Tasten und legte es beiläufig auf den Tresen. Gerade nahe genug, dass er das Bild einer jungen Frau auf dem Display erkannte. Elena.
»Kein Verhör – nein. Eher eine zwanglose Unterhaltung«, sagte die Polizistin. »Wir ermitteln zurzeit in zwei Mordfällen, die möglicherweise miteinander in Zusammenhang stehen.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Im Archiv sind wir auf eine ähnliche Mordserie gestoßen, die Anfang der Neunzigerjahre begangen und niemals aufgeklärt wurde. Sie waren damals ein wichtiger Zeuge.«
Nun sah Kanther die Polizistin zum ersten Mal direkt an. »Ich war nicht Zeuge, sondern Tatverdächtiger. Wie Sie selbst sagen: Das ist ziemlich lange her. Ich war unschuldig, man hat mich wieder gehen lassen. Und ich verstehe immer noch nicht, was diese alte Geschichte mit Ihren Ermittlungen zu tun hat.«
Winters Blick schweifte zu ihrem Kollegen hinüber. »Ein paar Informationen aus Ihrem Buch haben die Polizei damals neugierig gemacht. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht diesmal auch die eine oder andere … Idee hätten?«
»Sie glauben immer noch, dass ich es getan habe, oder? Ich wusste nicht mehr und nicht weniger als jeder andere«, erwiderte Kanther. »Was im Drachentöter stand, war rein fiktiv. Sie kennen doch sicher den schönen Satz, den wir Autoren gerne an den Anfang unserer Bücher stellen: Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit ist unbeabsichtigt und wäre rein zufällig. «
Im selben Moment schaltete sich der Bildschirmschoner von Nora Winters Handy ein. Kanther musste unwillkürlich
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