Tödliche Geschäfte
sind. Und genau das macht er: Er sucht nach Onkogenen in spezialisierten Viren.«
»Das mag ja alles sehr lobenswert sein«, wandte Evelyn ein. »Aber es ist auch reichlich obskur und wohl kaum die berufliche Karriere, mit der man eine Familie ernähren kann.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte Janet. »Sean und ein paar Kommilitonen vom MIT haben eine Firma zur Herstellung von monoklonalen Antikörpern gegründet, während er seinen Magister gemacht hat. Sie haben sie ›Immunotherapy, Inc.‹ genannt. Vor etwas über einem Jahr wurde sie von Genotech aufgekauft.«
»Das klingt in der Tat ermutigend«, sagte Evelyn. »Hat Sean einen ordentlichen Profit gemacht?«
»Das haben sie alle«, antwortete Janet. »Aber sie haben gemeinsam beschlossen, den Gewinn in eine neue Firma zu investieren. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen. Er hat mich zu striktem Stillschweigen verpflichtet.«
»Ein Geheimnis vor deiner eigenen Mutter?« fragte Evelyn. »Klingt mir ein bißchen melodramatisch. Aber du weißt genau, daß dein Vater überhaupt nicht einverstanden wäre. Er sagt immer, man sollte es vermeiden, neue Unternehmungen mit eigenem Kapital zu starten.«
Janet seufzte entnervt. »Darum geht es doch auch gar nicht«, sagte sie. »Ich wollte dich fragen, was du davon halten würdest, wenn ich nach Florida gehe. Sean geht für zwei Monate dorthin. Dort unten hat er nur seine Forschung. Hier in Boston hat er sowohl die Forschungsarbeit als auch das normale Unipensum. Ich dachte, daß wir dort vielleicht eine bessere Chance haben, miteinander zu reden und alles zu klären.«
»Und was ist mit deinem Job im Krankenhaus?« wollte Evelyn wissen.
»Ich könnte unbezahlten Urlaub nehmen«, sagte Janet. »Und in Miami suche ich mir einen Job. Einer der Vorteile in meinem Beruf als Krankenschwester ist, daß man praktisch überall Arbeit findet.«
»Nun, ich halte das für keine sehr gute Idee«, meinte Evelyn.
»Warum nicht?«
»Es wäre verkehrt, diesem Jungen nachzulaufen«, sagte Evelyn. »Vor allem, wo du weißt, was dein Vater und ich von ihm halten. Er wird nie in unsere Familie passen. Und nach dem Fauxpas mit Onkel Albert wüßte ich nicht einmal, wo ich ihn bei einer Dinnerparty hinsetzen sollte.«
»Onkel Albert hat sich über seine Haare mokiert«, sagte Janet. »Er wollte einfach nicht aufhören.«
»Das ist noch lange kein Grund, einen Vertreter der älteren Generation so zu brüskieren.«
»Wir wissen schließlich alle, daß Onkel Albert ein Toupet trägt«, sagte Janet.
»Wir wissen es vielleicht, aber wir erwähnen es nicht«, sagte Evelyn. »Und vor allen Leuten von einem verfilzten Bettvorleger zu sprechen war schlicht unentschuldbar.«
Janet nippte an ihrem Tee und starrte aus dem Fenster. Es stimmte, die ganze Familie wußte, daß Onkel Albert ein Toupet trug. Es stimmte ebenfalls, daß darüber nie jemand eine Bemerkung verlor. Janet war in einer Familie aufgewachsen, in der es viele unausgesprochene Regeln gab. Individualität, vor allem bei Kindern, wurde nicht gefördert, während gutes Benehmen als extrem wichtig galt.
»Warum triffst du dich nicht mal mit dem netten jungen Mann, der dich letztes Jahr zum Polomatch des Myopia-Jagdclubs mitgenommen hat«, schlug Evelyn vor.
»Er ist ein spießiger Trottel«, sagte Janet.
»Janet!« sagte ihre Mutter tadelnd.
Sie tranken eine Weile schweigend ihren Tee. »Wenn du so dringend mit ihm reden mußt«, sagte Evelyn schließlich, »warum machst du das dann nicht vor seiner Abreise? Du kannst dich doch heute abend mit ihm treffen?«
»Das geht nicht«, sagte Janet. »Am Freitagabend zieht er immer mit seinen Freunden los. Sie treffen sich alle in irgendeiner Kneipe in der Nähe seiner alten High School.«
»Dein Vater würde sagen, damit bin ich am Ende meiner Beweisführung«, sagte Evelyn mit unverhohlener Genugtuung.
Ein Kapuzen-Sweatshirt unter einer Wolljacke schützte Sean gegen den eisigen Sprühregen. Er hatte die Kapuze fest zugezogen und unter dem Kinn zugebunden. Er joggte die High Street in Richtung Monument Square hinunter und dribbelte abwechselnd mit der rechten und der linken Hand einen Basketball vor sich her. Er kam gerade von einem Basketballspiel im Charlestown Boys Club mit einer Truppe, die sich »Die Ehemaligen« nannte. »Die Ehemaligen« waren ein zusammengewürfelter Haufen von Freunden und Bekannten im Alter zwischen achtzehn und sechzig. Sean hatte sich gründlich ausgetobt und schwitzte noch
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