Tödliche Geschäfte
Hospital gearbeitet, wo es jedoch zu einem Streit mit seinem Schichtleiter gekommen war. Danach hatte er in einem Beerdigungsinstitut gejobbt, bevor er die Anstellung als Putzhilfe in der Forbes-Klinik gefunden hatte.
»Die Frau heißt übrigens Sandra«, erzählte Tom seiner Mutter, während er seinen Teller abspülte. »Sie ist älter als du. Sie hat starke Schmerzen. Das Problem hat sich inzwischen bis zu ihrer Wirbelsäule ausgebreitet.«
Wenn Tom mit seiner Mutter sprach, benutzte er nie das Wort »Krebs«. Gleich zu Beginn ihrer Krankheit hatten sie sich darauf verständigt, dieses Wort zu vermeiden. Sie bevorzugten emotional weniger belastete Vokabeln wie »Problem« oder »Schwierigkeit«.
Ein Zeitungsartikel über einen Arzt in New Jersey hatte Tom auf Succinylcholin aufmerksam gemacht. Seine rudimentäre medizinische Ausbildung ermöglichte ihm das Verständnis der physiologischen Prinzipien. Sein Job als Putzhilfe erlaubte ihm den Zugriff auf die Medikamentenwägelchen der Anästhesisten. Er hatte nie Probleme gehabt, das Mittel zu beschaffen. Die Schwierigkeit war nur, es zu verstecken, bis er es brauchte. Dann hatte er eines Tages eine geeignete Nische über dem Wandschrank in der Putzmittelkammer im vierten Stock entdeckt. Er war hochgeklettert und hatte sich die Stelle angesehen, wo sich eine Menge Staub gesammelt hatte, und er hatte gewußt, daß sein Medikament hier völlig ungestört lagern würde.
»Mach dir keine Sorgen über irgendwas, Mom«, sagte Tom und machte sich zum Gehen fertig. »Ich bin so schnell es geht zurück. Ich werde dich vermissen, ich liebe dich.« Das hatte Tom seit seiner Einschulung jeden Morgen gesagt, und er sah nicht ein, warum er daran etwas ändern sollte, bloß weil er seine Mutter vor drei Jahren hatte einschläfern müssen.
Gegen halb elf stellte Sean seinen Jeep auf dem Parkplatz des Forbes-Zentrums ab. Es war ein strahlender, klarer, fast sommerlicher Tag. Die Temperatur lag knapp über zwanzig Grad, und nach dem eisigen Bostoner Regen fühlte sich Sean wie im Himmel. Auch die zweitägige Fahrt hatte er genossen. Er hätte es auch schneller schaffen können, aber er wurde erst heute am späten Nachmittag in der Klinik erwartet, so daß es keinen Grund zur Eile gab. Am ersten Abend hatte er in einem Motel an der Interstate 95 in Rocky Mount, North Carolina, übernachtet.
Am nächsten Tag war er bis nach Florida gekommen, wo es mit jedem zurückgelegten Kilometer ein wenig mehr Frühling zu werden schien. Die zweite Nacht hatte er, umgeben von Wohlgerüchen, in Vero Beach, Florida, verbracht. Als er sich an der Rezeption des Motels nach dem wunderbaren Aroma in der Luft erkundigte, erklärte man ihm, daß es von den nahe gelegenen Zitrushainen herüberwehte.
Das letzte Stück der Reise erwies sich als das schwierigste. Als er von West Palm Beach in südlicher Richtung weiterfuhr, geriet er vor allem bei Fort Lauderdale und in Miami mitten in die Rushhour. Zu seiner Überraschung gab es selbst auf der achtspurigen I 95 ein Stop-and-Go-Chaos.
Sean schloß den Wagen ab, streckte sich und blickte zu den imposanten, bronzegetönten Zwillingstürmen des Forbes-Krebszentrums auf. Eine überdachte Fußgängerbrücke verband die beiden Gebäude. Den Schildern entnahm er, daß der linke Turm die Forschungs- und Verwaltungsabteilung beherbergte, während die Klinik im rechten untergebracht war.
Auf dem Weg zum Haupteingang dachte Sean über seine ersten Eindrücke von Miami nach. Sie waren gemischt. Als er die I 95 nach Süden hinuntergefahren war, hatte er kurz vor seinem Abzweig die glitzernden, neuen Wolkenkratzer der Innenstadt ausmachen können. Aber die Viertel entlang des Highway waren eine Mischung aus heruntergekommenen Einkaufszentren und billigen Wohnblocks. Auch die Gegend um die Forbes-Klinik, direkt am Miami River, war recht schäbig, obwohl zwischen den grauen Flachdach-Mietskasernen ein paar moderne Gebäude aufragten.
Als Sean durch die verspiegelte Tür trat, dachte er voller Ironie an die Schwierigkeiten, die ihm alle wegen dieses zweimonatigen Praktikums gemacht hatten. Er fragte sich, ob seine Mutter je über das hinwegkommen würde, was er ihr als Teenager zugemutet hatte. »Du bist genau wie dein Vater«, sagte sie immer, und das war ein Vorwurf. Abgesehen davon, daß auch er gelegentlich gerne in die Kneipe ging, konnte Sean bei sich wenig Gemeinsamkeiten mit seinem Vater entdecken. Andererseits hatte er weit mehr Entscheidungen treffen und
Weitere Kostenlose Bücher