Tödliche Geschäfte
Er kennt nur sehr wenig Respekt vor Autoritäten, und es gelingt ihm immer wieder, eine Menge Leute zu verärgern. Trotzdem war er bereits an der Gründung einer erfolgreichen Firma beteiligt, die von der Genotech aufgekauft wurde. Und er hat offenbar auch keine größeren Schwierigkeiten, die Finanzierung für sein zweites Unternehmen zusammenzubekommen.«
»Es klingt mehr und mehr nach Ärger«, meinte Ms. Richmond.
»Aber nicht so, wie Sie denken«, entgegnete Sterling. »Das Problem ist, daß Sushita in etwa genauso viel weiß wie ich. Meiner Einschätzung nach wird man dort annehmen, daß Sean Murphy eine Bedrohung für die Investition in das Forbes-Zentrum darstellt. Und wenn sie das erst einmal tun, werden sie sich auch zum Handeln gezwungen sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Umzug nach Tokio bei Mr. Murphy funktionieren würde. Wenn er jedoch bleibt, werden sich die Japaner meines Erachtens überlegen, ihre Zusage weiterer finanzieller Unterstützung zurückzuziehen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum wir ihn nicht einfach nach Boston zurückschicken«, sagte Ms. Richmond. »Dann ist die Sache gegessen. Warum sollen wir das Risiko eingehen, unsere Beziehung mit Sushita aufs Spiel zu setzen?«
Sterling sah Dr. Mason an.
Dr. Mason räusperte sich. »Meines Erachtens«, sagte er, »sollten wir nichts überstürzen. Der Junge ist wirklich gut. Heute morgen habe ich mal bei ihm im Labor vorbeigeschaut. Er hat schon eine ganze Mäusegeneration dazu gebracht, das Glykoprotein zu akzeptieren. Außerdem hat er mir einige vielversprechende Kristalle gezeigt, die er in den letzten Tagen entwickeln konnte, und er ist sicher, in einer Woche noch bessere zu haben. Niemand vor ihm ist je so weit gekommen. Mein Problem ist jetzt, zwischen zwei Übeln wählen zu müssen. Die Tatsache, daß wir bisher noch kein einziges patentierbares Produkt geliefert haben, stellt nämlich eine sehr viel ernstere und akutere Bedrohung unserer Weiterfinanzierung durch Sushita dar. Sie haben längst mit einem marktfähigen Produkt gerechnet.«
»Mit anderen Worten, wir brauchen den Flegel, selbst wenn es riskant ist«, sagte Ms. Richmond.
»So würde ich das nicht ausdrücken«, erwiderte Dr. Mason.
»Warum rufst du dann nicht einfach Sushita an und erklärst ihnen, was Sache ist?« fragte Ms. Richmond.
»Das wäre wenig ratsam«, schaltete sich Sterling ein. »Die Japaner ziehen die indirekte Kommunikation vor, um Konfrontationen zu vermeiden. Eine derart direkte Vorgehensweise würden sie nicht verstehen. Das würde ihre Sorgen nicht zerstreuen, sondern sie erst recht alarmieren.«
»Außerdem habe ich diesbezüglich Sushita gegenüber bereits einige Andeutungen gemacht«, sagte Dr. Mason. »Und sie haben trotzdem eigene Ermittlungen über Mr. Murphy in die Wege geleitet.«
»Der japanische Geschäftsmann hat große Probleme mit Unwägbarkeiten«, fügte Sterling hinzu.
»Und wie schätzen Sie den Jungen ein?« fragte Ms. Richmond. »Ist er ein Spion? Ist das der Grund, warum er hier ist?«
»Nein«, antwortete Sterling. »Er ist kein Spion im herkömmlichen Sinn. Er interessiert sich natürlich für Ihren Erfolg bei der Behandlung von Medulloblastomen, aber mehr unter akademischen als unter kommerziellen Gesichtspunkten.«
»Er hat aus seinem Interesse für das Medulloblastom-Projekt keinen Hehl gemacht«, sagte Dr. Mason. »Bei unserer ersten Begegnung war er sichtlich enttäuscht, als ich ihm sagte, daß er nicht an dem Projekt mitarbeiten dürfe. Wäre er ein Spion, hätte er sich doch bestimmt weniger auffällig benommen, anstatt Wind zu machen und eine genauere Überprüfung seiner Person zu riskieren.«
»Ganz meine Meinung«, erklärte Sterling. »Er ist ein junger Mann, der noch immer von Idealismus und Altruismus beseelt ist. Er ist noch nicht angesteckt von der neuen Kommerzialisierung der Wissenschaft im allgemeinen und der der medizinischen Forschung im besonderen.«
»Trotzdem hat er schon eine eigene Firma gegründet«, warf Ms. Richmond ein. »Das klingt für mich ziemlich kommerziell.«
»Aber im Grunde haben er und seine Partner ihre Produkte mit Verlust verkauft«, erwiderte Sterling. »Der Profit hat erst eine Rolle gespielt, als die Firma verkauft wurde.«
»Und was machen wir jetzt mit ihm?« fragte Ms. Richmond.
»Sterling wird die Situation weiter beobachten«, sagte Dr. Mason. »Er wird uns täglich auf den neuesten Stand bringen. Und er wird Mr. Murphy vor den Japanern schützen,
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