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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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KWST-TV und das andere von KEST-TV Die blonde Reporterin von KEST zeichnete bereits Filmausschnitte und Interviews für die Elf-Uhr-Nachrichten auf. Sie stand unter einem großen schwarzen Regenschirm und sprach mit einem der Nachbarn. Ich konnte keine anderen Reporter sehen, aber zweifellos schwirrten sie hier irgendwo herum.
    Ich verstellte den Rückspiegel und verfolgte, wie in der Kurve ein Paar Scheinwerfer in Sicht kam. Ich hoffte auf Fiona, doch der Wagen entpuppte sich als Crystals weißer Volvo. Sie bremste ab und wartete, bis ein Grüppchen von Leuten sich von der Straße getrollt und vor ihr Platz gemacht hatte. Dann fuhr sie an den Straßenrand und parkte direkt vor mir.
    Ich nahm meinen Regenmantel vom Rücksitz und hielt ihn mir über den Kopf, als ich die Geborgenheit des VWs aufgab und vorsichtig die Straße entlang zu Crystals Wagen stapfte. Sie wandte sich um, entdeckte mich und drehte ihr Fenster herunter. Ihr Gesicht wirkte abgespannt, und sie hatte die Haare im Nacken zu einem unordentlichen Knoten gebunden. Die schwarze Hose und der Pulli von vorher waren verschwunden. Sie sah aus, als hätte sie sich überstürzt angezogen, und trug jetzt Jeans und ein graues, sportliches Sweatshirt mit dem Namen unseres Fitnessstudios. »Ich war schon in Bademantel und Hausschuhen, als der Polizist bei mir geklingelt hat«, erklärte sie. »Er hätte mich gleich im Streifenwagen mitgenommen, aber ich wollte selbst mobil sein. Was hat sich denn ergeben?«
    »Nicht viel. Hier stehen so viele Leute herum, dass es schlimmer zugeht als auf einem Filmset. Wo ist denn Anica?«
    »Sie musste zurück ins Internat. Steigen Sie doch ein.«
    »Danke.« Ich zog die Tür auf und setzte mich auf den Beifahrersitz. Hinter mir war Griffiths angeschnallter Kindersitz zu sehen, seine Umgebung geziert von Kekskrümeln und zerbrochenen Brezelchen. Eine Nuckelflasche mit Apfelsaft hatte an der Stelle, wo meine Hand lag, einen klebrigen Fleck hinterlassen. Vor mir im Fußraum lag ein pinkfarbenes Eichhörnchen aus Plüsch. Ich sah förmlich vor mir, wie er den Schnuller, die Flasche, die Knabbersachen und die Plüschtiere, einen ganzen Wirbelsturm von Dingen durch die Gegend warf, um seine Anwesenheit kundzutun. Die Luft im Wagen roch nach Blumen und Gewürzen, Crystals Eau de Toilette.
    »Wie fühlen Sie sich?«, fragte ich.
    »Wie betäubt.«
    Völlig unvermittelt sagte ich: »Der Wagen könnte auch leer sein.«
    »Hoffen wir’s.« Sie verstellte den Rückspiegel in ihre Richtung und fuhr sich mit dem Fingerknöchel unter den Augen entlang, wo der Eyeliner verschmiert war. Dann schob sie den Spiegel wieder zurück und ließ sich im Sitz heruntersinken. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Im Profil konnte ich die Unregelmäßigkeiten ihrer Züge erkennen. Ihre Nase war zu spitz und der Unterkiefer zu schmal für die Breite der Stirn. Gut zurechtgemacht wirkte sie einschüchternder als im Moment. »Wann sind Sie hierher gekommen?«, fragte sie, als spräche sie im Schlaf.
    »Vor Stunden. Um sechs.«
    »Sie meinten, ich brauchte mich nicht zu beeilen. Ich habe gerade ferngesehen, als der Polizist gekommen ist.«
    »Sie können von Glück sagen. Ich bin am Verhungern. Ich habe kein Abendessen bekommen und knabbere gleich meinen Arm an.«
    Crystal fasste zum Handschuhfach herüber und klappte es auf. »Versuchen Sie’s damit.« Sie zog einen zerdrückten Hershey-Rie-gel heraus und reichte ihn mir. »Wie wurde denn der Wagen gefunden?«
    »Ich habe ihn entdeckt und die Polizei verständigt. Die Cops sind jetzt da drüben und treiben Gott weiß was.« Ich schälte die äußere Verpackung ab und zog das weiße Papier innen herunter. Der Geruch der Schokolade stieg nach oben wie Dampf. Ich zerbrach den Riegel in makellose Teile und legte mir eines davon auf die Zunge. Fast konnte ich den eingeprägten Buchstaben H lesen, als ich mir das schmelzende Schokoladenquadrat gegen den Gaumen drückte.
    »Woher wussten Sie, dass es sein Auto ist?«
    »Von dem persönlichen Nummernschild.«
    Wir schwiegen. Crystal schaltete das Radio ein, überlegte es sich dann aber anders und stellte es wieder aus. Der Regen machte auf dem Dach leise Trommelgeräusche, die Besen eines Schlagzeugers auf den Becken. Die Atmosphäre war merkwürdig intim. Wir befanden uns beide außerhalb unseres gewohnten Terrains, eingeengt durch die unvertraute Situation und ortsgebunden durch das Warten. »Ich nehme an, sie haben den Wagen noch nicht aus dem

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