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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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wünschte, ich wäre noch einmal pinkeln gegangen, bevor ich das Haus verließ. Angst wirkt massiv harntreibend.
    Vor mir kam Fionas Haus in Sicht, und ich hielt am Straßenrand an. Ich packte die Taschenlampe, stieg aus und marschierte zu Fuß weiter. Hier draußen war es noch hell genug, dass ich sehen konnte, wohin ich trat. Ich erklomm den nassen, grasbewachsenen Hügel, der mich vom Wasser trennte, wobei mir die Füße immer dann abrutschten, wenn ich am wenigsten damit rechnete. Auf der Hügelkuppe blieb ich einen Moment lang stehen und blickte über den Stausee hinweg zu dem Häuschen, in dem Lloyd momentan logierte. Die Lichter in dessen Innerem ließen es wie eine Kapelle wirken, die auf dem Hügel gegenüber thronte. Ich hoffte, Leila würde sich nicht aus dem Staub machen, während ich mich hier durch die Finsternis kämpfte.
    Die andere Seite des Hügels hinabzusteigen war noch heikler, und ich merkte, wie ich den Halt verlor und mir halb schlitternd, halb rutschend den Weg bahnen musste. Unten angekommen, schaltete ich die Taschenlampe ein. Um mich herum war es kalt und still, und die Luft roch faulig. Unten am Ufer wirkte das Wasser schwarz und zeigte keinerlei Anzeichen irgendeiner Strömung. An manchen Stellen konnte ich Trudys Pfotenabdrücke ausmachen. Ich leuchtete mit dem Strahl der Taschenlampe über den Hügel hinter mir und konnte den Felsblock, den ich gesehen hatte, ebenso ausmachen wie den Trampelpfad mit den abgebrochenen jungen Trieben. Ich blieb stehen, wo ich war, und folgte mit dem Blick der Anhöhe bis ganz nach oben. Von meinem Standpunkt aus war die Straße nicht zu sehen. Ich richtete den Lichtstrahl auf das schlickige Wasser und suchte nach seichten Stellen. Offenbar fiel der Seeboden abrupt ab, doch ich erkannte die Rundung einer verchromten Stoßstange, die matt glänzte wie ein vergrabener Schatz. Ich konnte zwar das Nummernschild nicht lesen, aber ich wusste, dass ich vor mir das Heck von Dow Purcells Mercedes sah, der tief ins Wasser gesunken war.

15

    Eine nächtliche Unfallszene ist so trostlos und grell wie ein Volksfest. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, und es ging auf acht Uhr. Die mobile Spurensicherung und eine Ford-Limousine standen am Straßenrand, flankiert von zwei Streifenwagen. Ihre blau-roten Leuchtbalken blinkten, und die Funkgeräte gaben zwischen stoßweisem Rauschen durchdringendes Kreischen von sich. Zwei uniformierte Beamte standen beieinander und unterhielten sich, während der Kollege in der Zentrale wie ein Marktschreier eine monotone Litanei von leichteren und schwereren Delikten verkündete, die gerade anfielen: Beschwerden über Lärm, ein Anruf, in dem eine häusliche Auseinandersetzung in einem anderen Stadtteil gemeldet wurde, ein Voyeur und ein Betrunkener, der in aller Öffentlichkeit auf die Straße urinierte. Santa Teresa ist eine Stadt mit fünfundachtzigtausend Einwohnern, in der mehr Eigentums- als Gewaltdelikte vorkommen.
    Fünf Minuten, nachdem ich den versunkenen Mercedes entdeckt hatte, war ich den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder zur Straße herabgestiegen. Ich hatte sie überquert und Fionas Treppen im Eilschritt erklommen, indem ich zwei auf einmal nahm und nicht zum Luftholen innehielt, bis ich oben angelangt war. Ich hämmerte gegen ihre Haustür und drückte gleichzeitig auf die Klingel, während ich innerlich darum flehte, dass sie aufmachte. Ich hatte den Schauplatz nur widerwillig unbewacht verlassen, aber ich musste ja die Polizei verständigen. Ich klingelte erneut. Da ich Fionas Haus durch Lloyds Fenster auf der anderen Seite des Sees beobachtet hatte, kam ich rasch zu der Überzeugung, dass sie noch irgendwo unterwegs war. Ich trottete ums Haus herum zu dessen Rückseite, wo die Einfahrt von der oberhalb gelegenen Straße auf das Anwesen führte. Auf Fionas Parkplatz standen keine Autos, und sämtliche drei Garagentüren waren heruntergelassen und abgesperrt.
    Fionas nächste Nachbarn wohnten direkt gegenüber. Ich wusste, dass es ätzend werden würde, einfach auf gut Glück an Türen zu klopfen. Es war zwar noch nicht spät, aber dunkel. Jeder kannte Geschichten über Eindringlinge, die sich mittels einer List Zutritt zum Haus ihres Opfers verschafften. Aber was hatte ich schon für eine Wahl, wenn ich nicht ins Auto steigen und herumfahren wollte, bis ich eine Telefonzelle fand? Ich klingelte und redete dabei unablässig vor mich hin: Komm schon, komm schon, sei zu Hause, hilf mir weiter. Ich

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