Tödliche Gier
Sozialversicherung Mitteilung von einem Todesfall gemacht wird. Soweit ich mich erinnerte, wurde der Totenschein in der Leichenhalle ausgefüllt und anschließend zum zuständigen Standesamt geschickt, das wiederum das Original ans Einwohneramt des Bezirks weiterreichte. Danach wurde der Totenschein nach Sacramento geschickt, wo man ihn archivierte und die Daten der Sozialversicherung meldete.
»Henry, das ist ja sagenhaft. Ob man der Sache wohl irgendwie auf den Grund gehen kann?« Natürlich spielte ich mit dem Gedanken, Merry zu überreden, ein bisschen für mich herumzuschnüffeln. Ich müsste allerdings bis zum kommenden Wochenende warten, wenn sie wieder dort aushalf. Ich hielt es nicht für besonders klug, sie während ihrer normalen Arbeitszeit an einem Werktag darauf anzusprechen, wenn Mrs. Stegler daneben stand. Plan B bestand darin, eventuell selbst eine kleine Suchaktion zu veranstalten, vorausgesetzt ich fand heraus, wonach ich Ausschau halten musste. Ich blickte auf und stellte fest, dass sowohl Tommy als auch Henry mich anstarrten. »Tut mir Leid. Ich habe mir gerade überlegt, wie ich an die Sache herangehen soll.«
Offenbar hatte Tommy beschlossen, dass er jetzt lange genug höflich gewesen war. Seine Hand schloss sich über meiner. Sein Griff war fest und hinderte mich daran, mich unauffällig zu befreien. »He, Henry. Ist mir echt unangenehm, zu stören, aber diese junge Frau hier hat versprochen, mich zum Essen auszuführen. Wir wollten nur kurz was trinken, bevor wir rüber zu Emile’s gehen.«
»Tja, und ich sollte mal nach meinem Schmortopf sehen, bevor alles anbrennt«, meinte Henry. Er warf mir beim Aufstehen einen Blick zu. Ich wusste, dass er mich nicht allein lassen wollte, aber er traute sich nicht, hartnäckig zu bleiben. Bei der Aussicht auf sein Verschwinden ergriff mich die gleiche Verzweiflung, die ich empfunden hatte, als ich fünf war und meine Tante mich zu meinem ersten Tag in der Grundschule gebracht hatte. Alles war bestens gewesen, solange sie noch da war und mit den anderen Eltern plauderte, aber sowie sie ging, bekam ich eine Panikattacke. Und jetzt spürte ich das gleiche Aufwallen von Angst, das alles in den Hintergrund treten ließ außer meiner Sehnsucht nach ihr. Henry und Tommy wechselten ein paar Floskeln, und ehe ich mich versah, war Henry verschwunden. Ich musste hier weg. Ich versuchte meine Hand wegzuziehen, aber Tommy fasste nur noch fester zu.
Ich tippte auf den Umschlag. »Wissen Sie was? Ich muss mir dringend diese Unterlagen anschauen. Wir müssen das Essen verschieben. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
Tommy machte es etwas aus. Ich sah, wie sein Lächeln schwand. »Sie brechen ein Versprechen.«
»Vielleicht morgen Abend. Jetzt habe ich zu tun.« Ich wusste, dass es nicht klug war, mich mit diesem Mann anzulegen, aber der Gedanke an einen Abend mit ihm allein war unerträglich. Mariah musste ja wohl inzwischen weg sein, und falls nicht, so war das ihr Problem.
Er fing an, mir die Finger zu reiben. Der Kontakt war etwas rauer als unbedingt nötig. Die Reibung wurde unangenehm, doch das schien ihm nicht aufzufallen. »Weshalb der plötzliche Sinneswandel?«
»Bitte lassen Sie meine Hand los.«
Er starrte mich an. »Hat Ihnen jemand etwas über mich erzählt?«
Ich merkte, wie sich mein Kiefer verkrampfte. »Was gibt’s denn zu erzählen, Tommy? Haben Sie etwas zu verbergen?«
»Nein. Natürlich nicht, aber manche Leute denken sich Sachen aus.«
»Also ich nicht. Wenn ich sage, dass ich zu tun habe, dann können Sie mir das glauben.«
Er drückte meine Finger ein letztes Mal und gab meine Hand frei. »Dann lasse ich Sie wohl lieber gehen. Soll ich Sie morgen anrufen? Oder, was noch besser wäre, Sie rufen mich an.«
»Okay.«
Wir standen beide zugleich auf. Ich wartete, während Tommy in seinen Regenmantel schlüpfte, nach seinem Schirm griff und den Verschluss aufschnappen ließ. Als wir am Eingang ankamen, holte ich meinerseits Regenmantel und Schirm. Tommy hielt mir die Tür auf. Ich brachte die Verabschiedung schnell hinter mich, während ich darum rang, meinen Fluchttrieb zu beherrschen. Ich trottete auf meine Wohnung zu, während er in entgegengesetzte Richtung zu seinem Auto ging. Ich zwang mich zum Schlenderschritt, obwohl ich am liebsten gerannt wäre, um so viel Abstand wie möglich zwischen ihn und mich zu legen.
18
Ich betrat meine Wohnung und sperrte hinter mir die Tür ab. Tommy jagte mir kalte Schauer über den Rücken.
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