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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Ich ging von einem Fenster zum anderen, schloss die Schnappriegel und zog die Jalousien vor, damit niemand hereinsehen konnte. Ich entspannte mich erst, als jede vorhandene Schließvorrichtung verriegelt war. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch und suchte Mariah Talbots Visitenkarte, die ich in die Handtasche gesteckt hatte. Mir war unwohl wegen meiner Verbindung zu ihr. Der Verdacht, den Tommy mir gegenüber ausgesprochen hatte, war geradezu unheimlich gewesen. Ich malte mir aus, wie er meine Tasche durchwühlte, sobald ich ihm den Rücken zugewandt hatte, und dabei auf ihre Karte stieß. Menschen wie er, die einen zwanghaften Kontrollfimmel haben, brauchen die permanente Versicherung, dass ihnen keine auch noch so kleine Einzelheit entgangen ist. Ich prägte mir die Telefonnummer ein und zerschnitt die Karte in kleine Stückchen. Mit Unbehagen musste ich daran denken, dass er nach wie vor meinen Mietantrag in Händen hielt, in dem mehr über mich stand, als mir lieb war. Er würde nie ohne weiteres glauben, dass ich mich in erster Linie für Fakten interessierte, die mit Dow Purcell zu tun hatten. Seiner Denkweise nach musste alles, womit ich mich befasste, etwas mit ihm zu tun haben. Narzissmus und Paranoia sind zwei Seiten desselben pervertierten Gefühls der Selbstüberhebung. In der unheimlichen Art aller Psychopathen hatte er meine jüngst erst aufgekommene Angst vor ihm gewittert. Garantiert fragte er sich, wer oder was meinen Sinneswandel bewirkt hatte.
    Ich griff zum Telefon und wählte Mariahs texanische Vorwahl sowie die Nummer von ihrer Karte. Mir war klar, dass ich sie nicht erreichen würde, aber zumindest konnte ich sie auf Band um einen Rückruf bitten. Ich musste daran denken, wie geschickt Henry den Namen des Hehlers ins Gespräch gebracht hatte. Er hatte so gut gelogen wie ich und mit der gleichen Kunstfertigkeit. Jetzt blieb nur die Frage, ob Tommy etwas mit der Information anfangen würde.
    Mariahs Anrufbeantworter schaltete sich ein. »Hallo, hier spricht Mariah Talbot. Sie sind verbunden mit dem Büro der Guardian Casualty Insurance in Houston, Texas. Meine normale Arbeitszeit ist Montag bis Freitag von acht Uhr dreißig bis siebzehn Uhr dreißig. Falls Sie zu einem anderen Zeitpunkt anrufen, hinterlassen Sie mir bitte eine Nachricht und nennen Sie Namen, Uhrzeit und eine Nummer, unter der ich Sie zurückrufen kann. Ich höre mein Band regelmäßig ab und melde mich so bald wie möglich bei Ihnen. Vielen Dank.«
    »Hi, Mariah«, begann ich. »Hier ist Kinsey. Wir müssen uns unterhalten. Bitte rufen Sie mich unter meiner Büronummer an. Wenn Sie mich nicht erreichen, hinterlassen Sie mir zehn Sekunden Schweigen auf Band. Anschließend hören Sie einfach Ihre Nachrichten ab. Ich rufe Sie dann an und schlage einen Ort und einen Termin vor, an dem wir uns treffen können. Danke.« Ich ertappte mich dabei, dass ich mich beim Sprechen tief über den Apparat beugte und mit der Hand die Sprechmuschel abschirmte. Was stellte ich mir denn vor? Dass sich Tommy Hevener mit einem tragbaren Abhörgerät an die Außenmauer presste? Na ja, irgendwie schon. Und ich nannte ihn paranoid.
    Nachdem ich den Anruf bei Mariah erledigt hatte, wandte ich meine Aufmerksamkeit den Rechnungen zu, die mir Henry gegeben hatte, und vertiefte mich in die traute Sicherheit der vor mir liegenden Aufgabe. Die erste Rechnung auf dem Stapel trug die Überschrift »Medicare-Übersichtsmitteilung«, und weiter unten folgte die Zeile »Dies ist eine Übersicht der am 29.8.86 bearbeiteten Anträge«. Wenn ich ihre Patientenakte in die Finger bekäme, könnte ich in Erfahrung bringen, weswegen die Ärzte sie behandelt hatten. Ich wusste von manchen ihrer Krankheiten, aber ich wollte sehen, welche Medikamente und Hilfsmittel für sie angefordert worden waren. Dann konnte ich die tatsächlichen Bestellungen mit den Posten vergleichen, die Medicare in Rechnung gestellt worden waren. Beim Durchblättern fand ich ein Formular mit Erläuterungen zu medizinischen Leistungen, Abrechnungen mit Kodenummern, Kästchen für Arbeitgeberanteile und abzugsfähige Posten, Rechnungen sowie mehrere Auflistungen der täglichen Behandlungen — meiner Vermutung nach Physiotherapie. Eine Diagnose wurde nie erwähnt, doch in der ersten Augusthälfte beliefen sich allein die Ausgaben für Medikamente auf 410,95 Dollar. Hunderte zusätzlicher Posten, viele davon geringfügig, waren Medicare in den Monaten seit ihrem Tod in Rechnung gestellt worden.

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