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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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fürchten, womöglich auf Dauer sterilisiert zu werden.

    Sechzehn Minuten später hatte ich alles abgelichtet. Ich strich den Stoß Kopien glatt und schob ihn mir noch warm in die Unterhose. Ich sortierte die Blätter wieder in die Akte ein, bog die Stifte zurecht, schob die Klammer auf die Stifte, bog sie darüber und machte sie fest. Und jetzt? Ich konnte die Unterlagen nicht mitnehmen, ich konnte mich aber auch nicht darauf verlassen, dass nicht später jemand kam und sie vernichtete. Ich ging wieder an die Schublade, in der ich Klotildes Akte gefunden hatte. Die letzten beiden Ziffern ihrer sechsstelligen Patientennummer waren 44. Ich übersprang eine Reihe Schubladen und schob ihre Akte stattdessen zwischen die Kennnummern, die auf 54 endeten. So wüsste ich, wo sie steckte, und jeder Archivmitarbeiter würde schlicht und einfach feststellen, dass ihre Akte verschwunden war. Es war zwar denkbar, dass jemand an ihrem neuen Ablageort auf die Akte stoßen würde, aber das Risiko musste ich eingehen.
    Ich verließ das Archiv, schloss die Tür hinter mir und kehrte ins Hauptbüro zurück, wo der pulsierende Punkt auf Merrys Bildschirm überraschend viel Beleuchtung bot. Mittlerweile war ich an die Dunkelheit gewöhnt und konnte das Ziffernblatt der Uhr erkennen. 11.34 Uhr. Zeit zu verschwinden. Ich trat durch die Schwingtür am Tresen und hatte gerade die Tür zum Flur erreicht, als ich Schritte näher kommen hörte. Ich erstarrte und versuchte, nicht in Panik auszubrechen. Das tappende Geräusch hartsohliger Schuhe war leise, aber unüberhörbar. Es musste sich herumgesprochen haben, dass im Archiv Licht brannte, weil eindeutig jemand in diese Richtung unterwegs war, um nach dem Rechten zu sehen. Ich wollte zwar nicht glauben, dass tatsächlich jemand in das Büro kommen würde, aber der Vorsicht halber zog ich mich eilig hinter die Schwingtür zurück und suchte meine Umgebung nach dem einfachsten Versteck ab. Ich ging zu Merrys Arbeitsplatz hinüber, zog ihren Drehstuhl heraus und kroch in den Fußraum unter ihrem Schreibtisch. Dort hockte ich dann auf einem Gewirr dicker Stromkabel, den Kopf unnatürlich abgebogen, um nicht gegen die Unterseite von Merrys Stiftschublade zu stoßen. Die Ecken von Klotildes Unterlagen piekten mich in Bauch und Brust und machten ein seltsam knisterndes Geräusch, als ich die Beine anzog und die Arme um die Knie legte.
    Und dann ging die Tür auf.
    Ich wartete darauf, dass das Licht anginge, doch der Raum blieb dunkel. Ich hatte keine Ahnung, ob irgendwelche Teile meines Körpers noch sichtbar waren, aber ich musste eben darauf vertrauen, dass derjenige, der hereingekommen war, bald wieder hinausgehen würde. Einen Moment später öffnete sich die Tür ein zweites Mal, und ein zweiter Jemand kam herein. Ich hörte einen geflüsterten Wortwechsel, eine kleine Unstimmigkeit, und dann das Geräusch der Schwingtür, als erst der eine und dann der andere den Bereich betrat, wo ich (wie ich hoffte) verborgen war. Wer waren diese beiden? Vielleicht war dies der Auftakt zu einem lustigen Einbrechertreffen, und wir wollten alle drei aus unterschiedlichen, aber unlauteren Motiven Akten stehlen. Sie mussten ja Schlimmes im Schilde führen, sonst hätten sie wohl das Licht angemacht.
    Nach mehrfachem Gescharre mit den Füßen standen die beiden plötzlich direkt vor Merrys Schreibtisch. Das matte Licht des Computermonitors glühte sanft. Ich schloss die Augen wie ein Kind. Wenn ich die beiden nicht sehen konnte, konnten sie mich vielleicht auch nicht sehen. Ich hörte ein Rascheln, als jemand einen Mantel ablegte, ihn über Merrys Stuhllehne hängte und den Stuhl wegschob. Als ich die Augen wieder aufschlug, konnte ich ein paar Männerhosenbeine erkennen und die Rückseite seiner Absätze. Ich hätte schwören können, dass es der Typ mit dem silbergrauen Haarschopf war, den ich auf dem Parkplatz beobachtet hatte. Jetzt stand er Fußspitze an Fußspitze mit einer Frau, deren geisterhaft weiße Strümpfe und vernünftige dicksohlige Schuhe ich kurz zuvor gesehen hatte. Pepper Gray.
    Ich hörte einen Wirrwarr undeutlichen Geflüsters, ein heiseres Stöhnen, Proteste seinerseits und vertrauliches Drängen ihrerseits. Dann vernahm ich das leise, aber unverwechselbare Geräusch eines Reißverschlusses, der aufgezogen wurde. Fast hätte ich vor Schreck aufgeschrien. Sie wollten Doktor spielen, und ich saß im Sprechzimmer fest! Er lehnte sich nach hinten gegen den Schreibtisch — ich konnte sehen,

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