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Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tove Alsterdal
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mich den Rändern näherte. Auch die Blumen wurden weniger, und schließlich verschwanden sogar die Namen. Einige anonyme Gräber waren mit Ziegelsteinen markiert, durch die das Gras emporwucherte. Keines von ihnen war in den letzten Wochen neu angelegt worden.
    Am Ende der Reihe gelangte ich zu einem kleinen Gedenkstein. Einer einfachen Platte mit Inschrift und einem kleinen, rosa Blumenstrauß. En memoria de los inmigrantes caidos en aguas del estrecho. Im Gedenken an die Einwanderer, die in den Gewässern der Enge gefallen sind. Damit war natürlich die Straße von Gibraltar gemeint.
    Die Sonne brannte mir im Nacken. Ich wandte mich um. Der Friedhof war von einer Mauer umgrenzt. Ein Baum warf einen breiten Schatten auf die äußerste Ecke. Bei einem alten Grab war die eiserne Umzäunung verrostet und umgestürzt, davor lag ein Erdhaufen vom Volumen eines Sarges. Langsam ging ich dorthin. Bückte mich und nahm eine Handvoll der braunen Erde. Sie war feucht, duftete nach Humus und Herbst. Ich sank auf die Knie und legte eine Hand auf das Grab.
    Ich fühlte Leere. Eine tiefe und dumpfe Stille, zu der kein Laut vordringen konnte. Ich hatte nie einen Gott zum Reden gehabt, weder den katholischen noch irgendeinen anderen. Zum ersten Mal in meinem Leben vermisste ich die Existenz von etwas Größerem, einen Trost, von dem ich aber nicht wusste, wo ich ihn finden konnte.
    Ich beugte mich weiter vor, streifte mit der Wange die Erde und flüsterte.
    »Patrick. Ich bin hier und wollte dir nur erzählen ...« Mein Hals schnürte sich zu, ich bekam die Worte nicht heraus.
    Du wirst Vater.
    Der Schatten des Baumes wanderte langsam über die weiße Mauer, die Zeit verging.
    Als ich mich endlich erhob, fiel es mir schwer, die Knie zu strecken. Ich drehte mich ein letztes Mal um und sah auf den namenlosen Teil des Friedhofs. Und ich begriff, dass ich ein Gespräch vor mir hatte, das ich nicht länger aufschieben konnte.
    »Das ist nicht wahr«, schrie sie ins Telefon. Ich hielt es ein Stück vom Ohr weg. Dann übernahm Patricks Vater den Hörer. Im Hintergrund hörte ich Eleonora Cornwall weiterreden. »Mein Sohn ist nicht tot. Er ist nicht tot.«
    Sachlich und formell verlangte Robert Cornwall, dass ich genau erzählte, was passiert war.
    »Ein katholischer Friedhof?«, stieß er hervor, als ich meinen Bericht fast beendet hatte. »Aber du weißt doch, dass wir Protestanten sind!«
    »Es ist ein katholisches Land«, sagte ich. »Sie wussten ja nicht, wer er ist.«
    Schweigen. War ich wirklich gezwungen, dieses Land zu verteidigen, als wäre es meine Entscheidung gewesen, Patrick hier zu beerdigen? Ich saß auf dem Bett meines Hotelzimmers und starrte durch die offene Balkontür nach draußen.
    Patricks Eltern hatten nie akzeptiert, dass er mich heiratete, wo es doch so viele nette, schwarze Mädchen in ihrem Bekanntenkreis gab.
    »Er soll auf unserem Friedhof liegen«, sagte Robert Cornwall mit erstickter Stimme. »Seine Mutter braucht ein Grab, das sie besuchen kann. Unser Anwalt wird sich um die Details kümmern.«
    Und dann wurde die Verbindung unterbrochen, mein Schwiegervater hatte aufgelegt. Ich legte mich hin und starrte an dieDecke. Zwei Wasserflecken, die sich dem Anschein nach ausbreiteten und zu einem wurden. Ich hatte ihnen nicht gesagt, dass ich Patricks Kind im Bauch trug.
    Am Abend kam dann die offizielle Bestätigung.
    Ich lag noch immer auf dem Bett und war offenbar eingeschlafen, denn das Klingeln des Handys weckte mich. Mein Körper war kalt und taub.
    »Ich habe gerade die Nachricht aus Washington D.C. erhalten«, sagte Tom McNerney. »Das Ergebnis der Identifizierung ist positiv.«
    »Ja?«, sagte ich.
    Ich hatte das Gefühl, als könnte mich nichts mehr berühren. Die Formalitäten, die den Tod betrafen, waren etwas Abstraktes, das nichts mehr mit dem eigentlichen Tod zu tun hatte. Eine bürokratische Prozedur, eine Hausaufgabe, die erledigt werden musste.
    »Sie hatten recht«, sagte McNerney. »Er war im Register und die Fingerabdrücke passen zu dem Toten in Tarifa.«
    Ich setzte mich mühsam auf.
    »Und was passiert jetzt?«
    »Erst einmal muss ich mich sehr entschuldigen. Ich habe Ihnen noch nicht einmal mein Beileid ausgesprochen.«
    Die Gardinen flatterten im Fenster, als der Wind sie erfasste. Das Licht draußen war matt und blau, bald würde es dunkel werden.
    »Das Erste, was wir in Angriff nehmen müssen, ist natürlich der offizielle Totenschein. Wir werden Ihnen bei den Formalitäten und dem

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