Tödliche Investitionen
hinauf, dicht gefolgt von Frølich. Er klingelte an Johansens Tür.
Niemand öffnete.
Frølich presste sein Ohr an die altmodische Doppeltür. »Drinnen ist es still«, flüsterte er. »Vielleicht hat er uns gesehen.«
Wieder klingelte Gunnarstranda und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Nichts passierte. Noch einmal. Drei harte, lange Schläge hallten auf der stillen Treppe wider. Keine Reaktion.
Frank Frølich hob das rechte Bein und trat die Tür ein. Der Riegel, der sie am Boden gesichert hatte, zerbrach wie ein Stück Kreide. Beide Türen öffneten sich krachend.
Im ersten Moment verharrten sie beide regungslos.
Das Licht in der Wohnung kam durch eine Tür im Flur. Das Badezimmer. In allen anderen Zimmern war es dunkel.
Gunnarstranda ging vor und knipste im Wohnzimmer das Licht an. Der Sessel war leer. Das Sofa war leer. Das Badezimmer war leer. Johansens Wohnung war leer.
Sie begannen, die Wohnung oberflächlich zu untersuchen. Öffneten aufs Geratewohl Schubladen, die bis zum Rand mit denselben Lumpen gefüllt waren, auf die sie schon beim letzten Mal gestoßen waren. Auf dem Küchentisch standen ein halbes Brot und eine halb leere Dose Leberwurst, die schon eine dunkle, harte Kruste hatte. Eine verschmutzte Kaffeekanne war zur Hälfte mit schwarzem Kaffee gefüllt. Im Kühlschrank stand ein Karton Kefir mit überschrittenem Verfallsdatum. Zwei Bierflaschen standen neben einer halb leeren Flasche Lebertran in der Tür. Im obersten Fach lag ein Stück gepökeltes, in Plastik eingeschweißtes Bauchfleisch zusammen mit einer Tüte Kartoffeln. Siglinde, dachte Gunnarstranda, als er den rötlichen Ton der Kartoffelschale sah, die noch nicht verschrumpelt war. Auf dem Kühlschrank lagen ein paar Rezepte und etliche unbezahlte Rechnungen neben einer nicht eingelösten Anweisung der Sozialhilfe, die bewies, dass Johansen nicht gerade üppig lebte.
Mitten auf dem Küchentisch lag Johansens Brieftasche. Sie war dick, braun und schrecklich abgenutzt. Gunnarstranda hob sie hoch, wog sie in der Hand. Öffnete sie. In einem Fach lag ein steifer Personalausweis. Darauf war ein Bild von Johansen in Hemd und Schlips zu erkennen. Die Tränensäcke unter seinen Augen fielen weniger auf als in Wirklichkeit.
Der Kriminalhauptkommissar warf nur einen kurzen Blick auf das Bild, dann nahm er das heraus, was die Brieftasche so dick gemacht hatte. Einen Papierstapel, steif wie ein Brikett. Das Papier war blau-weiß mit roten und lila Schattierungen. Ein Stapel Tausender mit Bauchbinde.
»Entweder ist er unterwegs und stiftet Unfrieden«, sagte Frølich vom Sofa, »oder ihm ist etwas passiert.«
»Ich befürchte Letzteres«, antwortete Gunnarstranda. Zog eine durchsichtige Plastiktüte aus der Tasche. »Wir müssen vorsichtig sein.«
Er steckte die Geldscheine in die Tüte. »Unten in Reiduns Wohnung finden wir sicher keinen einzigen Fingerabdruck.«
»Das war am Donnerstag noch nicht hier!« Frølich deutete auf die Geldscheine. Er war aufgestanden und musterte den Inhalt der Tüte.
»Die Brieftasche auch nicht«, antwortete Gunnarstranda und strich sich nachdenklich über die Lippen. »Also kann auch Geld hier gewesen sein. Wenn er es in der Tasche hatte.«
Vierzig
Frølich und Gunnarstranda waren zurück im Revier. Es war noch früh am Morgen, und dieser Flügel des Hauses war noch wie ausgestorben. Sie waren die Einzigen auf dem Flur. Frank Frølich lehnte sich schwer gegen die Wand und sah zu, wie Gunnarstranda in den Taschen wühlte und seine Schlüssel suchte. Schließlich mochte er nicht länger warten und schloss selber auf. Er ließ sich auf einen Drehstuhl fallen, schwang herum und griff nach zwei Tassen auf der Fensterbank. Er unterdrückte ein Gähnen.
»Ich wüsste ja verdammt gern, was dieser Dieb eigentlich sucht«, überlegte Gunnarstranda auf dem Sofa, während Frølich sich um den Kaffee kümmerte.
»Wir haben hier ein Muster«, erklärte der Kriminalhauptkommissar unzufrieden. »Irgendwer hat vor drei Wochen bei Software Partners eingebrochen und alles auf den Kopf gestellt, aber offenbar nichts gestohlen. Irgendwer hat in der Mordnacht Reidun Rosendals Wohnung durchwühlt. Keine leicht absetzbare Ware wurde gestohlen. Irgendwer hat ihre Wohnung heute Nacht dann noch einmal systematisch durchkämmt. Ich wette neunundneunzig zu eins, dass das derselbe Einbrecher war.«
»Mmm«, stimmte Frølich träge zu und setzte einen Fuß auf den Boden. Er drehte sich um und betrachtete sich im Fenster.
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