Tödliche Jagd
einen
Schrei.
Ich stieß mich hoch, stützte mich auf meine
Arme und ritt auf ihr wie ein junger Bulle, als ich in dem dreiteiligen
Spiegel über der Frisierkommode drei Bilder meines
Großvaters sah, wie er in der offenen Tür stand, in heiligem
Zorn entbrannt, seinen geliebten Stock in der Hand. Der Stock sauste
zwei-, dreimal auf meinen Rücken nieder und brach entzwei.
»Du verfluchter Dreckskerl!« bellte er los. »Verschwinde hier, aber schleunigst!«
Ich beugte mich seinem Zorn,
fürchtete und schämte mich wie nie zuvor. Helga hatte sich
erhoben. Er schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.
»Das ist also dein Dank?« schrie er. »Setzt mir mit meinem eigenen Enkel Hörner auf!«
Ich weiß nicht, welche Worte sonst noch fielen,
denn er stieß mich aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
Ich hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde, und schlich auf
mein Zimmer.
Was in Helgas Zimmer geschah, habe ich nie erfahren.
Noch am selben Abend nahm sie den Zug nach London, und ich mußte
am Tag darauf nach Eton zurück, ungeachtet des ärztlichen
Rats.
Ich habe Helga nie mehr wiedergesehen.
Ich stand immer noch teilweise unter Drogeneinfluß, als ich am Ende meiner Schilderung angelangt war.
»Setzt mir mit meinem eigenen Enkel Hörner
auf«, hörte ich eine Stimme sagen. »Setzt mir mit
meinem eigenen Enkel Hörner auf.«
Madame Ny schien fasziniert. Sie beugte sich zu mir
herüber, packte mich am Kinn und schüttelte mich. »Das
ist das erste Mal, daß Sie sich an diesen Satz erinnern, nicht
wahr?«
Ich nickte und fragte benommen: »Was soll das heißen?«
»Daß sie die Geliebte Ihres
Großvaters war. Das erklärt alles. Ihr Alter zum Beispiel.
Wie Sie sagten, war sie kein gewöhnliches Au-pair-Mädchen,
sondern eine reife Frau in den besten Jahren. Er muß sie mit
Vorbedacht ausgewählt haben. Und sein Zorn war der des alten
Platzhirsches, der sieht, wie sich ein Jüngerer etwas herausnimmt,
was nur ihm zusteht. Er hat Ihnen das nie verzeihen können.«
»Ich habe Durst. Mein Mund ist ganz trocken.«
»Das ist immer so.« Sie füllte ein Glas mit Wasser. »Sie sind mir nicht böse?«
Ich trank das Glas in einem Zug aus und
wischte mir den Mund ab. »Warum sollte ich? Dadurch, daß
Sie mir geholfen haben, mich zu erinnern, habe ich etwas gelernt. Warum
sollte ich mich für diesen alten Trottel schämen?«
»Ihr Sexualleben ist wenig befriedigend, stimmt das?« erwiderte sie ganz ruhig.
»Katastrophal. Ich fühle mich zu allem
hingezogen, was einen Rock anhat, und habe deswegen schreckliche
Schuldgefühle. Als Liebhaber bin ich, so hat man mir zu verstehen
gegeben, allerhöchstens Durchschnitt.«
»Und Sie glauben, das wird sich jetzt ändern?«
»Woher soll ich das wissen? Sie sind doch der Experte.«
Sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, jetzt noch nicht.«
Ich war immer noch nicht ganz bei mir, als sie
aufstand, zur Tür ging und sie abschloß. Sie drehte sich
wieder zu mir um, die durch das Fenster fallenden Sonnenstrahlen
zauberten goldene Flecken in ihre Augen, und begann, während sie
auf mich zuging, die Baumwollbluse aufzuknöpfen.
»Armer Ellis«, sagte sie leise.
»Armer kleiner Ellis Jackson. Niemand liebt ihn. Niemand liebt
ihn, außer mir.«
Als ich sie auf der Couch nahm, war ich wieder im Haus
meines Großvaters, draußen prasselte der Gewitterregen
nieder und wehte in feinen Tröpfchen durch das offene Fenster
herein. Und auch die Angst kam wieder, vermischte sich mit dem heftigen
Verlangen und ließ mein Herz wie wild klopfen. Ich wartete
darauf, daß jemand in der Tür stand und mich Gottes heiliger
Zorn traf. Doch diesmal blieb das Donnerwetter aus, entging ich meiner
Strafe. Ich erlebte den intensivsten Orgasmus meines Lebens.
Madame Ny unterdrückte ein
Stöhnen, wahrscheinlich wegen der Posten draußen auf dem
Gang, und hauchte meinen Namen, doch über meine Lippen kam der
Name Helga. In diesem Augenblick höchster Ekstase hatte ich Helga
schließlich doch noch genommen.
Ich erzählte St. Claire nichts von alledem.
Zumindest nicht gleich danach, denn seine Warnung vor ihren Tricks
ließ mir keine Ruhe. Sie wollten die Antithese, die
Schwächen eines Menschen, das, weswegen er sich schämt,
herausfinden und fördern, bis es schließlich zum
dominierenden Teil seiner Persönlichkeit wird.
Aber Madame Ny hatte nichts dergleichen getan. Im
Gegenteil: Sie hatte ein traumatisches Erlebnis aufgezeigt
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