Tödliche Küsse
früh können Sie mit dem Verhör fortfahren.« Er wandte sich zum Gehen, fluchte leise und blieb noch einmal stehen. »Um Himmels willen, sehen Sie zu, dass Sie ein bisschen Schlaf kriegen«, riet er ihr, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Und nehmen Sie was gegen Ihre Kopfschmerzen. Sie sehen hundeelend aus.«
Sie widerstand dem Bedürfnis, die Tür hinter ihm ins Schloss zu knallen, weil es kleinlich und unprofessionell gewesen wäre. Stattdessen setzte sie sich wieder vor den Bildschirm und versuchte zu verdrängen, dass ihr Schädel wahrscheinlich jeden Augenblick zerbarst.
Als wenige Momente später ein Schatten auf ihren Schreibtisch fiel, hob sie kampflustig den Kopf.
»Nun«, sagte Roarke mit leiser Stimme, beugte sich nach vorn und küsste sie auf den verächtlich verzogenen Mund. »Das ist ein Empfang, wie ich ihn liebe.« Er klopfte sich auf die Brust. »Blute ich vielleicht?«
»Haha.«
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mir dein Humor und deine Fröhlichkeit gefehlt haben.« Er setzte sich auf den Rand des Schreibtischs und blickte auf den Bildschirm, um zu sehen, was der Grund für ihren Zorn war. »Nun, Lieutenant, wie haben Sie den Tag verbracht?«
»Lass mich überlegen. Zuerst habe ich den Lieblingspatensohn meines Vorgesetzten wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen und anderer Kleinigkeiten festgenommen, dann habe ich die mögliche Mordwaffe in einer Schublade seiner Arbeitskonsole im Stadthaus der Familie gefunden, habe ein Geständnis des Vaters meines Hauptverdächtigen bekommen und dann ein paar Schüsse zwischen die Augen von der Schwester verpasst gekriegt, die mich für eine mediengeile Schlampe hält.« Sie bemühte sich zu lächeln. »Davon abgesehen war es ziemlich ruhig. Und wie war es bei dir?«
»Teils mehr und teils weniger erfolgreich«, erklärte er milde und betrachtete sie sorgenvoll. »Nichts, was auch nur annähernd so aufregend wie die Polizeiarbeit gewesen wäre.«
»Ich war mir nicht sicher, ob du heute Abend schon zurückkommen würdest.«
»Ich mir auch nicht. Aber die Arbeiten am Resort gehen recht gut voran, und fürs Erste müsste es genügen, wenn ich die Dinge von hier aus regele.«
Sie versuchte, nicht ganz so erleichtert darüber zu sein. Es ärgerte sie, dass sie sich innerhalb von wenigen Monaten derart an seine Gegenwart gewöhnt hatte, ja, dass sie sogar anfing, sie zu brauchen. »Ich nehme an, das ist gut so.«
»Mm.« Er konnte in ihr lesen wie in einem Buch. »Was kannst du mir über den Fall erzählen?«
»Auf sämtlichen Kanälen wird von nichts anderem mehr berichtet. Such dir also einfach einen aus.«
»Ich würde es aber lieber von dir hören.«
Im Telegrammstil brachte sie ihn auf den neuesten Stand: mit knappen, präzisen Sätzen, in denen sie sich auf die Tatsachen beschränkte und persönlicher Wertungen enthielt. Anschließend, stellte sie fest, fühlte sie sich deutlich besser. Roarkes Art des Zuhörens half ihr, selbst deutlicher zu hören, worum es ihr tatsächlich ging.
»Du glaubst, es ist der junge Angelini.«
»Er hätte die Mittel, die Gelegenheit und durchaus ein Motiv gehabt. Wenn das Messer passt… Tja, erst mal werde ich morgen Dr. Mira treffen, um zu sehen, ob es dem Täterprofil entspricht.«
»Und Marco? Was hältst du von seinem Geständnis?«
»Es ist eine gute Möglichkeit, die Tatsachen zu verdrehen und die Ermittlungen gegen David zu erschweren. Er ist clever, und er wird einen Weg finden, die Sache bei den Medien durchsickern zu lassen.« Sie runzelte die Stirn. »Auf diese Weise stiftet er Verwirrung, was uns Geld und kostbare Zeit kostet. Aber trotzdem werden wir am Ende den wahren Täter vor Gericht stellen.«
»Du denkst, er hätte die Morde gestanden, um die Ermittlungen zu verkomplizieren?«
»Genau.« Sie sah ihm in die Augen und zog eine Braue hoch. »Du hast anscheinend eine andere Theorie.«
»Es ist wie die Geschichte von dem Kind, das in den reißenden Fluss gefallen ist«, murmelte Roarke. »Der Vater denkt, dass sein Sohn am Ertrinken ist und springt eilig ins Wasser. Sein Leben für das Leben seines Kindes. Liebe, Eve.« Er legte eine Hand unter ihr Kinn. »Liebe kennt keine Grenzen. Marco denkt, sein Sohn ist schuldig und deshalb will er sich opfern, damit sein Kind den Preis für seine Sünden nicht bezahlen muss.«
»Wenn er weiß oder auch nur glaubt, dass David diese Frauen tatsächlich ermordet hat, dann wäre es doch Wahnsinn, ihn derart zu schützen.«
»Nein, es
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