Tödliche Küsse
ehe er die Tür schloss und sich mit einem langen Seufzer an den Mann wandte, der zusammengesunken ihm gegenüber auf einem Stuhl hockte. »Marco. Was zum Teufel meinst du, was du hier machst?«
»Jack.« Marco bedachte ihn mit einem dünnen Lächeln. »Ich habe mich schon gefragt, ob du wohl vorbeikommst. Wir haben es nie geschafft, wie geplant mal miteinander Golf zu spielen.«
»Sprich mit mir.« Whitney sank schwerfällig auf einen Stuhl.
»Hat deine tüchtige und hartnäckige Mitarbeiterin dich etwa noch nicht auf den neuesten Stand gebracht?«
»Der Recorder ist ausgeschaltet«, erklärte Whitney mit überraschend scharfer Stimme. »Wir sind allein. Sprich mit mir, Marco. Wir beide wissen, dass du weder Cicely noch irgendjemand anderen ermordet hast.«
Einen Moment lang blickte Marco grüblerisch in Richtung der Decke des Verhörraums. »Man kennt andere Menschen nie so gut wie man glaubt. Nicht einmal die Menschen, die man liebt. Ich habe sie geliebt, Jack. Ich habe niemals aufgehört, sie zu lieben. Aber sie hat mich nicht mehr geliebt. Ein Teil von mir hat immer darauf gewartet, dass sie wieder anfängt mich zu lieben. Aber das hätte sie nie getan.«
»Verdammt, Marco, erwartest du allen Ernstes, dass ich glaube, du hättest ihr die Kehle durchgeschnitten, weil sie sich vor zwölf Jahren von dir scheiden ließ?«
»Vielleicht dachte ich, sie hätte möglicherweise Hammett geheiratet. Er hätte es gewollt«, erklärte Marco ruhig. »Ich konnte sehen, dass er es gewollt hätte. Doch Cicely hat noch gezögert.« Seine Stimme klang nach wie vor leise, ruhig, ja fast ein wenig wehmütig. »Sie hat ihre Unabhängigkeit genossen, aber es tat ihr Leid, Hammett zu enttäuschen. Leid genug, dass sie vielleicht am Ende nachgegeben und ihn geheiratet hätte. Dann wäre es wirklich vorbei gewesen.«
»Du hast Cicely getötet, weil sie vielleicht einen anderen Mann geheiratet hätte?«
»Sie war meine Frau, Jack. Ganz gleich, was die Gerichte und die Kirche sagten.«
Whitney saß einen Augenblick schweigend auf seinem Stuhl. »Ich habe im Verlauf der Jahre zu oft mit dir gepokert, Marco. Du bist kein so guter Spieler, wie du vielleicht denkst.« Er faltete die Arme auf der Tischplatte und beugte sich nach vorn. »Wenn du bluffst, trommelst du mit dem Finger auf deinem Knie herum.«
Der Finger hielt im Trommeln inne. »Jack, das hier ist etwas völlig anderes als Poker.«
»Du kannst David so nicht helfen. Du musst den Dingen ihren Lauf lassen.«
»David und ich… in den letzten Monaten gab es ziemlich viele Spannungen zwischen uns beiden. Sowohl privat als auch geschäftlich.« Zum ersten Mal seit seinem überraschenden Geständnis entfuhr ihm ein abgrundtiefer Seufzer. »Aber wegen solcher Lappalien sollten sich Vater und Sohn nicht voneinander entfernen.«
»Das hier ist wohl kaum der richtige Weg, um dich mit ihm zu versöhnen, Marco.«
Plötzlich waren Angelinis Augen wieder kalt und hart. »Lass mich dir eine Frage stellen, Jack. Wenn es um eines deiner Kinder ginge, wenn auch nur die kleinste – die allerkleinste – Chance bestünde, dass es wegen Mordes verurteilt würde, würdest du dann nicht ebenfalls versuchen, ihm mit allen dir zur Verfügung stehenden Mitteln behilflich zu sein?«
»Mit deinem schwachsinnigen Geständnis hilfst du David nicht.«
»Wer sagt, dass es schwachsinnig ist?« Aus Angelinis Mund klang das Wort geradezu kultiviert. »Ich habe es getan, und ich gestehe, weil ich nicht damit leben kann, dass mein eigenes Kind für meine Verbrechen bezahlen soll. Jetzt sag mir, Jack, würdest du dich in einem solchen Fall schützend vor deinen Jungen stellen oder dich hinter ihm verstecken?«
»Verdammt, Marco«, war alles, was Whitney dazu einfiel.
Er blieb zwanzig Minuten im Verhörraum, aber brachte nichts mehr aus dem Freund heraus.
Eine Zeit lang bemühte er sich um ein Gespräch über alltägliche Themen wie das letzte Golfturnier oder die Erfolge beziehungsweise Misserfolge der Baseballmannschaft, an der Marco beteiligt war, das er immer wieder geschmeidig und geschickt wie eine Schlange mit nüchternen, bedeutsamen Fragen zu den Mordfällen durchbrach.
Doch Marco Angelini war ein erfahrener Verhandlungsführer, hatte bereits alles gesagt, was er zu sagen bereit war und gab nichts weiter von sich preis.
Schuldgefühle, Trauer und allmählich auch echte Angst brodelten in Whitneys Magen, als er nach der Unterhaltung Eves Büro betrat. Sie hockte vor ihrem Computer,
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