Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
das edlere Viertel solle sie durchsuchen. Erstaunt darüber, wie genau Sally geplant hatte, stellte sie fest, dass sich das Gasthaus in genau diesem Viertel befand. Beziehungsweise es stand am Ortsrand, das Viertel erstreckte sich vor ihr. Als die Leute fluchtartig damit begannen, ihre Häuser zu verlassen, konnte Emily ihre Angst spüren, als wären es echte Menschen und keine Illusionen. Hilflos stand sie zwischen den flüchtenden Menschen und den näherkommenden Tornados, Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie fiel auf die Knie und fing an zu weinen. Soviel Leid ertrug sie einfach nicht. Verzweifelt hielt sie sich die Ohren zu, um das panische Schreien der Menschen nicht mehr hören zu müssen. Doch es drang immer weiter zu ihr durch, bis sie irgendwann von der Panik um sich herum angesteckt wurde, aufsprang und mit den Menschen mitrannte. Sie lief eine Weile zwischen ihnen, bis sie am Straßenrand eine verletzte Frau sah, die sie verzweifelt anschaute. Emily löste sich aus der Menge und lief zu ihr. Die am Boden sitzende Frau war mit einem wunderschönen dunkelroten Kleid bekleidet und trug einen kleinen Hut auf ihr wunderschönes, wallendes blondes Haar gesteckt. Die Frau weinte und schaute Emily aus großen blauen Augen an.
„Hilf mir, Mädchen“, bat die Frau.
Emily schaute an ihr herab und entdeckte, dass die Frau einen gebrochenen Fuß hatte. Sie konnte wohl nicht mehr laufen und war jetzt gezwungen, hier auf ihr Ende zu warten.
„Wie soll ich euch denn helfen, ich werde euch leider nicht tragen können“, fragte Emily.
Die Frau hob eine Hand und zeigte in Richtung der Tornados.
„Mein Haus, es ist dort hinten, das große in Rot angestrichene! Meine beiden Kinder sind noch dort drin! Bitte rette sie!“, antwortete die Frau schluchzend. Emily schaute in die gezeigte Richtung. Sie entdeckte das rote Haus, aber die Tornados hatten es schon so gut wie erreicht. Je näher die Tornados dem Ort kamen, umso mehr schlossen sich die vielen kleinen zu großen Supertornados zusammen.
„Das schaffe ich doch nie“, sagte Emily mutlos.
„Bitte Mädchen … wenn ich schon sterben muss, dann bitte nicht ohne meine beiden kleinen! Außerdem sind sie ganz alleine dort! Könntest du wirklich zwei kleine Kinder alleine sterben lassen?“
Emily schluchzte. Natürlich konnte sie das nicht.
„Ich mach’s“, sagte sie dann knapp und lief wieder zurück.
„Danke dir!“, rief die blonde Frau ihr erleichtert nach.
Emily lief weinend gegen den Wind an. Er war inzwischen so stark, dass sie kaum mehr dagegen ankam. Doch sie wollte unbedingt das rote Haus erreichen, dessen Dach von dem starken Wind bereits abgedeckt worden war. Auch von den anderen Häusern lösten sich erste Teile und es flogen Sachen durch die Luft. Emily rannte weiter. Für sie existierte nur noch das Haus mit den beiden Kindern darin. So sah sie auch den Dachziegel nicht, den der Wind ihr mit voller Wucht gegen die Schläfe krachen ließ. Ein greller Lichtblitz des Schmerzes folgte, dann sackte Emily in sich zusammen.
Dascha blieb gelassen vor einer der Hütten sitzen und wartete mit geschlossenen Augen auf das Ende von Versuch Nummer eins. Sie hatte ihre Aufgabe gut erfüllt und musste nun auf die Besprechung warten. Auch Sally ergab sich nach erfolgloser Suche nach Emily ihrem Schicksal. Koko hatte sich zitternd und schluchzend in einem der Läden verkrochen. Kyle war gerade mit dem letzten Raum der Schule fertig, als diese über ihm einbrach.
Kapitel 8: Zweiter Versuch
Sally erwachte wieder mit donnernden Kopfschmerzen. Auch dieses Mal hatte es sich Freiya nicht nehmen lassen, sie mit dem Kopf auf einen Grabstein fallen zu lassen. Sie rappelte sich auf, erhob sich und wollte grade Richtung Ortsmitte loslaufen, als ihr ein Grabstein ins Auge fiel, der vorher noch nicht da war.
„Oh nein. Ich hab es mir ja gedacht“, sagte sie betroffen. Es war der Grabstein von Emily. Also hatten sie einen Mitstreiter verloren und mussten das Edelviertel neu absuchen. Andächtig nickte sie dem Grab zu, dann begann sie zu laufen. Koko wartete auf dem Platz schon ungeduldig. Sie war blass und wirkte total verstört. Sally ging zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Wir schaffen das, hörst du? Konntest du deinen Bereich fertig absuchen?“
Koko schüttelte den Kopf.
„Das große Haus dort am Ende fehlt mir noch. Soll ich auf die anderen warten oder gehen?“, wollte sie wissen.
„Lauf los und such, bis du alles absuchen konntest.
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