Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
auf. Die Stimme wurde lauter, es war Gesang. Kyle schauderte. Aus irgendeinem Grund erfüllte es ihn mit Angst. Er schüttelte sich kurz, dann fing er an, das Haus zu durchsuchen. Als er im obersten Stockwerk eine große Doppeltür öffnete, erstarrte er. Es war ein Musikzimmer. Große Portraits von Damen und Herren in edlen Kleidern hingen an den Wänden, ebenso goldene Kerzenhalter. Von der Decke hing ein großer Kronleuchter. Sein Blick aber blieb an dem großen Konzertflügel hängen, der mitten im Raum stand. Auf diesem saß ein Mädchen und sang. Sein Blick glitt über die dunkelgrünen Haare des Mädchens, ihre blasse Haut, ihre eisblauen Augen. Das türkise Tuch um ihre Brüste, den ebenfalls türkisen Rock, der die Beine frei ließ aber hinten eine Schärpe bildete. Dazu die vielen, silbernen Armreifen um Hand- und Fußgelenke. Sie hörte auf zu singen und schaute ihn lächelnd an.
„Du … du bist tot“, sagte er ungläubig.
Das Mädchen, was dort saß, war Ligeia. Die Sirene, die ihn damals als ihr Opfer ausgesucht hatte und vor der ihn Dascha und die anderen nur in letzter Minute retten konnten. Sie erhob sich vom Flügel, ging zu ihm und legte ihm die Arme um den Hals. Er stand immer noch wie zur Salzsäule erstarrt da und schaute direkt in Ligeias hellblaue Augen.
„Ich bin nicht tot. Wahre Liebe kann auch Sirenen wie mich befreien. Dachtest du wirklich, ich würde einem tollen Menschen wie dir etwas antun? Ich wollte dich mitnehmen, mit nach Atlantis, unserer Stadt unter dem Wasser. Hier können wir dort weiter machen, wo wir vor acht Wochen aufhören mussten“, flüsterte sie ihm liebevoll zu und küsste ihn.
Wie hypnotisiert war er unfähig, sich dagegen zu wehren. Die Hände der Sirene glitten über seine Schultern zu den Knöpfen seines Hemdes, wo sie begann, den obersten Knopf aufzumachen. Langsam drängte sie ihn rückwärts, er gab ihr nach. Plötzlich spürte er direkt in seinem Rücken einen starken Windstoß und er zuckte zusammen. Hinter ihm musste sich ein offenes Fenster befinden. Er schloss die Augen und tat so als würde er es nicht bemerken. Dann riss er sie wieder auf, packte die Sirene bei den Schultern, drehte sich herum und stieß sie durch das Fenster. Er schaute heraus; sie zerfiel noch im Fallen in Tausende kleine Lichtfunken, die vom Wind fortgeweht wurden. Kyle atmete tief durch, dann durchsuchte er weiter das Haus.
Koko lief die Einkaufsmeile entlang direkt zu dem großen Haus, zu dem sie beim ersten Versuch nicht mehr durchgekommen war. Die Tür stand auch hier offen. „Zum goldenen Apfel“ stand auf einem Schild neben der Tür. Koko trat ein und vor ihr erstreckte sich eine Halle. Ein Tresen stand an der einen Seite, daneben führte eine Treppe nach oben. Ansonsten befanden sich mehrere Tische mit gemütlichen Stühlen daran in dem Raum, auf den Tischen lagen Zeitungen. Sie tastete sich an den Wänden entlang und behielt den Boden im Blick. Nichts. Auch hinter dem Tresen befand sich außer einem leeren Schlüsselbrett nichts, in der Besenkammer unter der Treppe waren nur Besen, Eimer und ein paar Holzlatten. Als Koko sich umdrehte, sah sie einen Schatten über sich auf der Treppe. Sie sprang sofort einen Satz rückwärts und schaute nach oben. Dort verschwand gerade ein pinker Stofffetzen um die Ecke.
„Kira?“, rief sie verunsichert und rannte die Treppe nach oben. Sie konnte noch eine Tür zuschlagen sehen.
„Kira? Schatz?“, rief sie noch einmal, bekam jedoch keine Antwort. Also ging sie zu besagter Tür, drückte die Klinke herunter und trat in den Raum. Zuerst sah sie nichts Auffälliges. Ein ordentlich gemachtes Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen großen Vorhang, der den Raum scheinbar teilte. Sie trat zu dem Vorhang und schob ihn zur Seite. Im gleichen Moment fiel die Tür mit einem lauten Krachen ins Schloss und sie fuhr erschrocken herum. Dort stand Kira, an die Tür gelehnt. Sie war über und über mit Blut beschmiert und grinste diabolisch.
„Kira! Oh mein Gott, was ist mit dir passiert?“, fragte Koko besorgt und wollte zu ihr gehen.
„Du bist mir passiert!“, kam als Antwort.
Koko fuhr wieder herum. Auf dem Bett saß auch Kira, ebenfalls mit Blut besudelt und grinsend. Koko bekam Panik und schaute sich weiter um. Überall standen Kiras, alle waren voller Blut und mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken. Die grinsenden Kiras auf dem Bett und neben der Tür, eine gefesselte und geknebelte auf dem Stuhl, eine, die an einem
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