Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
aber einmal sehr schön ausgesehen haben. Einige Fenster waren mit blauen Müllsäcken oder Pappe zugeklebt, hier fehlten die Scheiben. Die Tür hing, wie bei vielen anderen Häusern auch, schief in den Angeln und konnte nicht einmal mehr abgeschlossen werden. Der Garten war voller Sperrholz und Müll, das Gras war ausgetrocknet und braun. Unter dem Müll konnte man erkennen, dass es dort wohl einmal Beete gegeben hatte. Aber auch die waren ausgetrocknet, nichts schien in diesem Garten wachsen zu wollen. An einem wohl einst weißen, jetzt aber dreckigen Gartentisch saß eine junge Frau auf einem noch dreckigeren Stuhl. Ein löchriger, dunkelroter Sonnenschirm war über ihr aufgespannt. Erst wunderte sich Emily darüber, wo doch der ganze Himmel voller Wolken war. Doch dann fiel ihr auf, dass der Sonnenschirm so dermaßen voller Rost war, dass es wohl einfach unmöglich war ihn zuzuklappen. Neugierig musterte die Frau die beiden. Sie war eine große Frau mit langen roten Haaren. Sie war braun gebrannt, ihr Gesicht war voller Sommersprossen. Sie trug ein schlichtes, knielanges schwarzes Kleid und ebenfalls schwarze Sandalen. In den Händen hielt sie ein aufgeschlagenes Buch, das sie aber auf die Knie hatte sinken lassen.
„Guten Tag, Frau …“, fing Viola ihren Satz an, dann schaute sie auf das Namensschild, das auf einen alten Blechbriefkasten geklebt war. G. Black stand dort.
„Black. Grace Black. Kommt ruhig herein. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich neugierig bin. Oder halte ich euch von etwas Wichtigem ab?“, stellte sie sich freundlich vor. Emily und Viola sahen sich kurz an.
„Sind sie verwandt mit Edward Black?“, fragte Emily dann.
„Ja, genau das bin ich. Ich bin die Enkelin der Schwester von Edward. Aber kommt doch zu mir, oder soll weiterhin das ganze Dorf mithören, was wir reden?“
„Vielleicht kann sie uns helfen. Wir sollten mit ihr reden“, sagte Emily, dann machte sie das morsche Tor auf und die beiden Mädchen gingen zu Grace.
„Leider hab ich keine Stühle mehr, die heil sind. Aber da hinten stehen zwei Kisten, nehmt doch die. Dann erzählt mir doch mal, was ihr vorhabt. Oder stellt mir Fragen, wenn ihr welche habt. Wenn ich kann, helfe ich euch natürlich gerne. Dieser Ort geht mehr und mehr vor die Hunde. Ich bin nur hier, weil noch nie ein Mitglied der Familien Rose und Black zu Schaden kam. Zumindest nicht bei den Todesfällen. Um das Herrenhaus Rose Black ist es schade. Naja, vielleicht könnt ihr ja diesen Ort vor dem Untergang bewahren“, seufzte Grace, dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und schaute die Mädchen erwartungsvoll an. Nachdem sich die Mädchen gesetzt hatten, ergriff Emily das Wort.
„Wir heißen Emily Neumann und Viola Morgenstern. Wir kamen mit einer Lehrerin und drei weiteren Mädchen hierher. Einmal, um den Geist von Maria zu erlösen, zum anderen, um diese mysteriösen Todesfälle aufzuklären. Wir sind davon überzeugt, dass nicht Maria dafür verantwortlich ist. Es muss etwas oder jemand Zweites geben. Aber wir haben noch keine Vorstellung, wer oder was das sein könnte. Du hast gesagt, dass niemals ein Mitglied der Familie Black zu Schaden kam? Nicht ein Einziger?“, wollte sie wissen. Grace dachte kurz nach.
„Nur Großonkel Edward und Großonkel Kim. Edward starb bei einem Unfall, aber das wisst ihr sicher schon. Kim hat Selbstmord begangen. Er lag eines Tages mit aufgeschnittenen Pulsadern in seinem Haus. Naja, wenigstens hat Kim niemanden zurückgelassen. Er hatte keine Frau und keine Kinder. Er muss ein sehr einsamer Mann gewesen sein. Vielleicht war das auch der Grund für seinen Selbstmord. Wissen tut den Grund keiner, es gab keinen Abschiedsbrief oder sonstiges. Das war übrigens in diesem Haus hier, unten im Keller. Aber laut meiner Großmutter passierte es, bevor der Spuk anfing. Ich glaube also nicht, dass der Tod von Kim hier wichtig ist. Ansonsten kam kein Black zu schaden. Oma Black starb an Altersschwäche, ihr Mann auch. Meine Eltern leben noch, sind aber von hier weggezogen. Emily, darf ich fragen, wie ich verstehen muss, dass Maria erlöst werden soll? Ich kann mir da nichts drunter vorstellen, um ehrlich zu sein“, schloss Grace ihren Bericht mit einer Frage ab. „Ich bin etwas, das sich Wasserfrau nennt. Unter anderem habe ich die Gabe, seelenlose Geschöpfe zu segnen. Sie werden rein, dann hören sie auf zu existieren. Außerdem kann ich tote Körper, die nicht anständig und würdevoll beerdigt wurden, ebenfalls
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