Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
hat, einen kleinen Eindruck von Ihrem Sender zu bekommen«, begann sie. »Sie haben ein wundervolles Team.«
Stolzgeschwellt meinte er: »Der Meinung bin ich auch. Momentan sind wir die Nummer zwei, aber wir haben vor, noch innerhalb dieses Jahres die Nummer eins zu sein, und Ihre Talk-Show wird uns dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen.«
»Das hoffe ich auch.« Sie ignorierte den kleinen Klumpen in der Magengegend, der verriet, wie angespannt sie war. Ihre sechs Monate waren fast vorbei. »Man sagte mir, Sie seien hier in Indianapolis geboren.«
»Das ist richtig. Ich bin hier geboren und aufgewachsen.«
Während er sich über die Freuden seiner Heimatstadt ausließ, machte Deanna die dazu passenden Bemerkungen, suchte aber dabei mit den Augen den Raum ab. Jeder Tisch war umringt von Menschen, die auf irgendeine Weise davon abhängig waren, daß sie es schaffte. Und einfach nur eine gute Talk-Show zu machen, genügte dazu nicht. Das hatte sie an diesem Morgen wieder getan, dachte sie. Ungefähr zehn Stunden war das jetzt her, die Zeit für das Make-up, das Frisieren,
die Ausstattung mit der richtigen Garderobe und die Vorproduktion nicht eingerechnet. Danach hatte sie ein Interview gegeben, war auf einer Versammlung des Mitarbeiterstabes gewesen, hatte Anrufe entgegengenommen und war ihre Post durchgegangen.
Und wieder hatte in der Post einer dieser merkwürdigen Brief von jemandem gelegen, den sie allmählich für ihren hartnäckigsten Fan hielt.
Mit deinen kurzen Haaren siehst du aus wie ein knackiger
Engel.
Mir gefällt es, wie du aussiehst.
Ich liebe dich.
Sie hatte den Brief weggesteckt und drei Dutzend andere Zuschriften beantwortet, bevor sie mit Jeff in das Flugzeug nach Indianapolis gestiegen war, den Zweigsender und die entsprechenden Versammlungen besucht und dem lokalen Mitarbeiterstab die Hände geschüttelt hatte. Dann hatte sie ein Geschäftsessen und ihren kurzen Auftritt während der Nachrichtensendung hinter sich gebracht, und jetzt absolvierte sie dieses nicht enden wollende Bankett.
Nein, eine gute Talk-Show genügte nicht. Sie mußte Diplomatin, Botschafterin, Chefin, Geschäftspartnerin und prominente Persönlichkeit in einer Person sein. Und sie mußte jede einzelne dieser vielen verschiedenen Rollen ausfüllen – und dabei die ganze Zeit so tun, als ob sie sich nicht einsam fühlen oder über Finn besorgt sein oder diese ruhigen Stunden vermissen würde, in denen sie sich einfach zum Vergnügen und nicht, weil sie den Autor interviewte, mit einem Buch in der Hand zusammenrollen konnte.
Genau das hatte sie doch gewollt, sagte sich Deanna und strahlte den Kellner an, der gerade Pfirsich Melba servierte.
»Du kannst doch auf dem Rückflug im Flugzeug schlafen«, flüsterte ihr Jeff ein wenig vorwurfsvoll ins Ohr.
»Merkt man mir die Müdigkeit an?«
»Ein bißchen.«
Sie entschuldigte sich und schob ihren Stuhl vom Tisch
zurück. Wenn sie schon nichts gegen die Ermüdung selbst tun konnte, konnte sie zumindest gegen deren Symptome angehen.
Kurz vor dem Ausgang hörte sie, wie jemand auf dem Podium an das Mikrofon klopfte. Unwillkürlich blickte sie sich um und sah Fred Banks unter den Lampen stehen. »Wenn ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte. Wie ich gerade erfahren habe, haben die US-Truppen begonnen, Angriffe gegen Bagdad zu fliegen.«
Deannas Ohren begannen zu summen. Undeutlich hörte sie, wie der Geräuschpegel im Ballsaal sich wie das Meer bei Flut verstärkte. Irgendwo ganz in der Nähe hob ein Kellner triumphierend eine Faust.
»Ich hoffe, sie geben diesem Scheißkerl eins auf den Arsch!«
Alle Müdigkeit war auf einmal wie weggeblasen. Langsam ging Deanna wieder zum Tisch zurück. Sie mußte ihre Arbeit zu Ende bringen.
Finn saß mit einem Laptop auf den Knien auf dem Fußboden des Hotelschlafzimmers. So schnell wie möglich brachte er seinen Text aus dem Kopf in die Tasten. Die Morgendämmerung nahte, und obwohl seine trockenen Augen brannten, spürte er keine Müdigkeit. Außerhalb des Hotels setzten sich die Angriffe fort, im Inneren war ein Katz-und-Maus-Spiel im Gange.
In den letzten drei Stunden waren sie zweimal umgezogen und hatten dabei ihre ganze Ausrüstung und ihre Vorräte mitgeschleppt. Irakische Soldaten durchkämmten währenddessen das Gebäude und brachten die Gäste und die internationalen Nachrichtenteams in den Keller des Hotels. Finn und sein Team hatten sich von Zimmer zu Zimmer geschlichen, und das erfolgreiche Versteckspiel
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