Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
gab und laut wurde.« Nach wie vor völlig fassungslos, starrte die Frau ins Leere. »Lois sagte mir, sie wollte Chuck dazu bewegen, mit ihr zur Eheberatung zu gehen, aber er weigerte sich.« Jetzt begann sie zu schluchzen und bedeckte mit einer Hand die Augen. »Er wollte nicht, und jetzt ist sie nicht mehr da. O Gott, sie war wie eine Schwester für mich.«
»Schnitt!« bellte Deanna und legte Mrs. Pierson den Arm um die Schultern. »Tut mir leid, tut mir wirklich leid. Sie sollten jetzt nicht hier draußen sein.«
»Mir kommt es immer noch wie ein böser Traum vor, so als könnte das alles unmöglich Wirklichkeit sein.«
»Haben Sie jemanden, zu dem Sie gehen können, eine Freundin oder einen Verwandten?« Deanna ließ ihre Blicke über den ordentlichen Hof schweifen, auf dem sich überall neugierige Nachbarn und entschlossene Reporter zusammendrängten. Nur wenige Meter links von ihr wurde gerade von einem anderen Team ein Kollege von ihr aufgezeichnet. Der Reporter ruinierte die Aufnahmen, weil er dauernd über seine eigenen Versprecher lachen mußte. »Hier wird es jetzt eine ganze Weile recht unruhig bleiben.«
»Ja.« Mit einem letzten Schluchzer wischte sich Mrs. Pierson über die Augen, drehte sich um und stürmte davon.
»O Gott!« Deanna beobachtete, wie andere Reporter mit ihren Mikrofonen auf die flüchtende Frau zuhielten.
»Du hast viel zuviel Mitleid«, bemerkte ihr Kameramann.
»Halt den Mund, Joe.« Sie riß sich zusammen, holte tief Luft. Sie konnte ja ruhig Mitleid empfinden, durfte aber nicht zulassen, daß das ihr Urteilsvermögen beeinträchtigte. Ihre Aufgabe bestand darin, einen klaren, knappen Bericht abzugeben, den Zuschauer zu informieren und ihm zusätzlich den Ort des Geschehens so ins Bild zu setzen, daß es bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterließ.
»Bringen wir die Sache zu Ende. Wir brauchen den Bericht für das Mittagsmagazin . Hol das Schlafzimmerfenster heran und komm dann wieder zu mir zurück. Und sieh zu, daß du die Hyazinthen, die Osterglocken und auch das rote Spielzeugauto von dem Kind ins Bild bekommst. Hast du es?«
Joe studierte die Szene. Die Baseballkappe über seinen drahtigen Haaren war etwas ins Gesicht gezogen, damit seine Augen im Schatten lagen. Er konnte sich bereits genau vorstellen, wie die Bilder nach dem Schnitt, der Montage und der Bearbeitung aussehen würden, kniff die Augen zusammen und nickte. Als er die Kamera wieder hochhob, traten die Muskeln unter seinem Sweatshirt deutlich hervor. »Wenn du soweit bist, ich bin es ebenfalls.«
»Dann also: drei, zwei, eins.« Sie wartete kurz ab, während die Kamera ihr Bild heranholte und dann nach unten schwenkte. »Lois Dossiers gewaltsamer Tod läßt diese ruhige Gemeinde erschüttert zurück. Während sich Freunde und
Familie fragen, wie es dazu kommen konnte, ist noch nicht entschieden, was jetzt mit Dr. Charles Dossier geschehen wird. Deanna Reynolds berichtete aus Wood Dale für die CBC.«
»Gute Arbeit, Deanna.« Joe schaltete die Kamera ab.
»Ja, mein Bester.« Auf ihrem Weg zum Sendewagen steckte sie sich zwei ihrer Lieblingsbonbons in den Mund.
Die CBC verwendete die Aufzeichnung noch einmal im Lokalteil der Abendnachrichten und aktualisierte sie mit Aufnahmen aus dem Polizeirevier, in dem der wegen Totschlags angeklagte Dossier festgehalten wurde. Deanna hatte sich in ihrer Wohnung in einem Sessel zusammengerollt und verfolgte nüchtern, wie der Moderator vom zentralen Thema auf einen Beitrag über einen Brand in einem Wohnhaus der South Side überleitete.
»Ein guter Beitrag, Dee.« Fran Myers hatte es sich auf der Couch bequem gemacht. Ihr roter Lockenschopf war auf dem Kopf zusammengesteckt und hing schräg zur Seite herunter. Sie hatte scharfgeschnittene, verschmitzte Gesichtszüge, die durch die Farbe ihrer kastanienbraunen Augen noch mit einem besonderen Akzent versehen wurden. Ihre freche Sprache verwies unmißverständlich auf ihre Herkunft aus New Jersey. Im Unterschied zu Deanna war sie nicht in einem der ruhigen Viertel in den von Alleen durchzogenen Vororten aufgewachsen, sondern in einer lauten Wohnung in Atlantic City, New Jersey, in der sie bei ihrer zweimal geschiedenen Mutter mit einer wechselnden Schar von Stiefgeschwistern gelebt hatte.
Sie nippte an ihrem Ginger-ale und deutete dann mit dem Glas auf den Bildschirm. Die träge Bewegung war wie ein Gähnen. »Du siehst vor der Kamera einfach toll aus. Ich hingegen verwandle mich im Fernsehen immer in einen
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