Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
Blut vorzog, das Mädchen, das sich so verzweifelt die Aufmerksamkeit der Mutter wünschte, daß Angela sich in ihrer Phantasie in diesen Fernseher hineinbegab, damit ihre Mutter ihre ausdruckslosen, betrunkenen Augen ein einziges Mal auf sie richtete und sie ansah.
Sie würden das Mädchen in den gebrauchten Kleidern und mit den schlecht sitzenden Schuhen sehen, das sich so sehr angestrengt hatte, um durchschnittliche Zensuren nach Hause zu bringen.
Sie würden sehen, daß sie ein Nichts war, ein Niemand, eine Betrügerin, die sich nur mit Bluffs und Täuschungsmanövern den Zugang zum Fernsehen verschafft hatte und damit auf die gleiche Weise wie ihr Vater seinen Zugang zur bürgerlichen Welt.
Man würde sie auslachen.
Oder schlimmer noch, ihre Sendung abschalten.
Das Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken.
»Wir sind soweit, Angela.«
Die schöne Frau atmete tief durch, einmal und noch einmal. »Bin schon unterwegs.« Ihre Stimme klang wie immer. Sie war eine Meisterin darin, sich zu verstellen. Noch ein paar Sekunden starrte sie in den Spiegel und beobachtete, wie die Panik langsam aus ihren Augen wich.
Sie würde nie versagen, sie würde nie mehr ausgelacht oder wieder ignoriert werden. Und niemand würde von ihr etwas zu sehen bekommen, das sie nicht von sich zeigen wollte. Angela stand auf, verließ ihre Garderobe und ging den Flur entlang.
Eigentlich hätte sie noch nach dem Gast ihrer Show sehen müssen, aber sie ging am Künstlerzimmer vorbei, ohne auch nur einen einzigen Blick hineinzuwerfen. Vor Beginn der Aufzeichnung wechselte sie mit ihren Gästen gewöhnlich kein Wort.
Ihr Produzent brachte gerade das Studiopublikum in Schwung. Die Glücklichen, die Eintrittskarten für die Aufzeichnung hatten ergattern können, erwarteten sie mit aufgeregtem Gemurmel. Marcie wackelte auf zehn Zentimeter hohen Absätzen durch die Gegend, stürmte auf sie zu und überprüfte in letzer Minute Angelas Frisur und Make-up. Einer der Zuschauerforscher reichte ihr noch ein paar Karten. Angela sprach weder mit ihm noch mit Marcie.
Als sie auf die Bühne kam, steigerte sich das Gemurmel im Publikum unvermittelt zu frenetischem Beifall.
»Guten Morgen.« Angela nahm auf ihrem Sessel Platz und ließ den Applaus über sich hinwegbranden, während das Mikrofon an ihr befestigt wurde. »Ich hoffe, Sie sind alle bereit für eine großartige Show.« Während sie sprach, wanderte ihr Blick über das Publikum. Die demographische Zusammensetzung der Zuschauer war genau nach ihrem Geschmack. Eine gute Mischung verschiedener Altersgruppen und Nationalitäten hatte sich hier eingefunden, Männer wie Frauen – und das war ein wichtiges Bildelement für die Kameraschwenks. »Sind unter Ihnen vielleicht auch ein paar Deke Barrow-Fans?«
Sie lachte herzhaft, als die nächste Runde Applaus losbrach. »Ich bin auch einer«, meinte sie, obwohl sie Countrymusic in jeder Form verabscheute. »Ich würde sagen, dann können wir uns ja alle auf einen Hochgenuß freuen.«
Angela nickte, lehnte sich zurück, legte die Beine übereinander und faltete die Hände über der Armlehne ihres Sessels. Das rote Licht an der Kamera leuchtete weiter. Die schwungvolle, an Jazz erinnernde Begrüßungsmusik erklang.
»Lost Tomorrow, That Green-Eyed Girl, One Wild Heart – das sind nur einige der Hits, die unseren heutigen Gast zur Legende gemacht haben. Seit über fünfundzwanzig Jahren schreibt er die Geschichte der Countrymusic mit, und sein neues Album Lost in Nashville erobert gerade die Hitparaden. Bitte heißen Sie mit mir in Chicago willkommen: Deke Barrow!«
Erneut erhob sich tosender Beifall, als Deke auf die Bühne trat. Mit gewölbter Brust und ergrauten Schläfen unter seinem schwarzen Stetson aus Filz grinste Deke ins Publikum,
bevor er Angelas warmen Händedruck erwiderte. Sie trat ein wenig zurück, ließ Deke den Moment auskosten. Der Sänger tippte grüßend an seinen Hut.
Mit allen Anzeichen großer Freude schloß sich Angela den stehenden Ovationen des Publikums an. Wenn die Stunde sich ihrem Ende zuneigte, würde Deke von der Bühne wanken, dachte sie. Und er würde nicht einmal wissen, was ihn so getroffen hatte.
Angela wartete die zweite Hälfte der Show ab, bevor sie zu ihrem Schlag ausholte. Als gute Talkmasterin hatte sie ihrem Gast geschmeichelt, aufmerksam seinen Anekdoten gelauscht, leise über seine Scherze gelacht. Jetzt badete sich Deke in der Bewunderung des Publikums, während Angela den aufgeregten
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