Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
»Marshall, tut mir leid, aber ich muß weg.«
»Das habe ich mir bereits gedacht. Willst du, daß ich warte?«
»Nein.« Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, griff nach ihrer Jacke. »Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Ich rufe dich an. – Delaney!« rief sie.
Der korpulente Mann, der die Aufträge verteilte, schwenkte den Stummel seiner erloschenen Zigarre in ihre Richtung. »Brechen Sie sofort auf, Reynolds! Bleiben Sie über das Zweiwegekabel mit uns in Verbindung. Wir schalten Sie live zu. Bringen Sie mir einen Knüller!«
»Tut mir wirklich leid!« rief sie Marshall zu. »Woher kommt das Flugzeug?« wollte sie von Joe wissen, als sie die Treppe hochrasten. Seine Motorradstiefel knallten auf das Metall wie Gewehrschüsse.
»Aus London. Sie geben uns die restlichen Informationen, während wir unterwegs sind.« Er schob die Tür nach draußen auf, und sie stürzten sich in den sintflutartigen Regen. Sofort klebte ihm das Sweatshirt mit den Chicago Bulls darauf an der Brust. Den Sturm noch übertönend, schrie er beim Aufschließen des Sendewagens zu ihr hinüber: »Es ist eine 747 mit mehr als zweihundert Passagieren an Bord. Die linke Düse hat einen Schaden, dazu gibt es Probleme mit dem Radargerät. Vielleicht hat der Blitz eingeschlagen.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, zuckte in diesem Augenblick ein krachender Blitz über den schwarzen Himmel und tauchte alles in grelles Licht.
Bereits völlig durchnäßt, kletterte Deanna in den Sendewagen. »Wann sollte das Flugzeug denn ankommen?«
»Keine Ahnung. Laß uns einfach hoffen, daß wir früher da sind.« Die Aufnahme von der Bruchlandung würde er nur äußerst ungern verpassen. Er startete den Motor und blickte zu ihr hinüber. Das Funkeln in seinen Augen versprach eine wilde Fahrt. »Und jetzt kommt der Knaller, Dee: An Bord befindet sich Finn Riley, und dieser verrückte Kerl war es auch, der uns über diese Sache informiert hat.«
Viertes Kapitel
I n der vorderen Kabine der geschundenen 747 zu sitzen glich einem Ritt im Bauch eines Mustangs, der an Verdauungsbeschwerden litt. Das Flugzeug bockte, stieß hin und her, erzitterte und schüttelte sich, als ob es mit aller Macht dagegen ankämpfen würde, die in ihm befindlichen Passagiere auszuspeien. Einige der Menschen an Bord beteten, andere weinten, wieder andere hatten ihre Gesichter in den Tüten vergraben, die für Fälle von Übelkeit bereitlagen, und fühlten sich so schwach, daß sie nur noch stöhnen konnten.
Finn Riley verschwendete nicht viele Gedanken auf das Beten. Er war zwar auf seine Weise ein religiöser Mensch und konnte, wenn er das Bedürfnis dazu verspürte, seine Sünden bereuen wie er es früher als Kind in diesen düsteren Sitzungen im Beichtstuhl getan hatte. Im Moment hatte es für ihn jedoch keine besondere Priorität, Buße zu tun.
Ihm stand nicht mehr viel Zeit zur Verfügung – die Batterie seines Laptops war gleich leer; bald würde er sein Diktiergerät einschalten müssen. Finn schrieb seine Texte allerdings viel lieber, wenn die Worte direkt aus seinem Kopf in die Finger flossen.
Er blickte aus dem Fenster nach draußen. Immer wieder explodierte der Himmel, wenn die Blitze herabzuckten, Lanzen der Götter gleich – nein, entschied er und verwarf diese Formulierung. Das klang zu abgedroschen. Es war wie auf einem Schlachtfeld, auf dem die Natur gegen die Technik des Menschen kämpfte. Die Geräuschkulisse erinnerte tatsächlich an Krieg, grübelte er. Die Gebete, das Weinen, das Stöhnen, gelegentlich hysterisches Lachen. Das kannte er aus den Schützengräben. Und das hallende Krachen des Donners,
das das Flugzeug wie ein Spielzeug erzittern ließ, kannte er ebenfalls.
Die letzten Augenblicke seiner endgültig an Kraft verlierenden Batterie nutzte er dafür, diesen Aspekt des Geschehens festzuhalten.
Sobald er den Laptop ausgeschaltet hatte, verstaute er Diskette und Computer im sicheren Schutz seines schweren Metallkoffers. Er mußte einfach darauf hoffen, daß alles gutging, dachte er sich, als er sein Miniatur-Diktiergerät aus der Aktentasche zog. Er hatte die Folgen eines Flugzeugabsturzes oft genug erlebt, um zu wissen, daß es reine Glückssache war, einen Absturz heil zu überstehen.
»Es ist der fünfte Mai, sieben Uhr zwei Central Time«, sprach Finn in das Diktiergerät. »Wir befinden uns an Bord des Fluges 1129 und nähern uns dem Flughafen O’Hare, obwohl der Sturm es unmöglich macht, irgendwelche Lichter zu erkennen.
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