Toedliche Luegen
ihm trennen.
Missgelaunt schüttelte Alain den Kopf und brummte: „Lass das. Ich bin nicht in Stimmung.“
Sie hütete sich davor, ihm zu sagen, dass sie das Gefühl nicht loswurde, er sei in ihrer Gegenwart nie in Stimmung. Es kränkte sie, immer und immer wieder von ihm beiseite gestoßen zu werden. Nachdem sich seine anfängliche Ablehnung in leises Interesse an ihr gewandelt hatte, gewann sie allmählich den Eindruck, dass der Reiz des Neuen inzwischen völliger Gleichgültigkeit Platz gemacht hatte. Mittlerweile konnte sie sich kaum noch vorstellen, die Ursache seiner Zurückweisungen lediglich in seinen Versagensängsten nach den Misshandlungen suchen zu müssen.
Was wollte er wirklich von ihr? Er st behauptete er, sie sei nicht sein Typ. Dann wiederum versicherte er, mit ihr schlafen zu wollen, zog sich im gleichen Augenblick allerdings meilenweit von ihr zurück. Waren seine Küsse gar nicht Ausdruck dessen, was sie versprachen?
Irrsinnigerweise wünschte sie sich die Zeit zurück, als sie sich wie Hund und Katze bekriegt hatten. Damals hatte sie wenigstens gewusst, woran sie mit dem Bruder ihres Vaters war und wie sie auf seine verbalen Attacken reagieren musste. Hatte Alain vor , sie im Kampf gegen Pierre auszunutzen? Wollte er sie auf seine Seite ziehen und dann gegen Pierre ausspielen?
Ganz schnell verdrängte sie diesen Gedanken wieder. Alain würde sich niemals von derart niederen Beweggründen leiten lassen. Nein, zu solcher Hinterhältigkeit war er nicht fähig.
Sie mussten endlich über diesen Abend reden! Aber selbst wenn sie den M ut dafür fand, Alain gab ihr nicht die Gelegenheit zu einer Unterhaltung. Er verkroch sich in seinem Zimmer, versteckte sich in der Bibliothek, ließ sich sogar das Essen von Juliette bringen und ging damit nicht bloß Pierre aus dem Weg.
Verfluchte Hölle! Machte sie nicht gerade mit ihren Zweifeln alles kaputt? Sie sollte sich in Geduld üben und Nachsicht walten lassen. Konnte sie sich denn nicht mehr erinnern, wie ungenießbar sie war, als sie mit beiden Ohren in der Diplomphase steckte? Hatte sie damals etwas anderes sehen und hören wollen?
Ein heiserer Lacher blieb ihr in der Kehle stecken. So ein Schwachsinn! Sie hatte damals an alles andere, bloß nicht an ihre Diplomarbeit gedacht. Hätte sie diese sonst dermaßen gekonnt in den Sand gesetzt? Alain dagegen war Perfektionist und zog die einmal begonnene Arbeit konsequent bis zum Ende durch. Sie sollte ihn bei diesem löblichen Verhalten unterstützen und nicht behindern! Und besser schweigen.
Alain stutzte. Dann beugte er sich noch weiter nach vorn, die Augen zusammengekniffen, um die zum Vorderrad führende dünne Leitung besser untersuchen zu können. Nein, er hatte richtig gesehen. Sein linker Zeigefinger fuhr an dem Gummischlauch entlang. Er war feucht.
Z ugegeben, er hatte nicht allzu viel Ahnung von diesen Dingen, doch mit Sicherheit sollte das nicht so sein. Die Bremsleitung? Er fluchte leise vor sich hin, während er einen Schritt zurück trat. Ging heute denn alles schief, was er anpackte? Diesen Tag würde er hassen, darauf hätte er schon jetzt gewettet.
Aufgebracht donnerte seine Faust an die Mauer der Garage. Heiliges Kanonenrohr , warum hatte er Beate nicht bei Lubeniqi anrufen und ihr Treffen absagen lassen, wie sie es vorgeschlagen hatte? Was wollte er ohne Bea bei diesen Schmierfinken? Es interessierte ihn nicht im Geringsten, welche Entdeckungen sie gemacht hatten. Als hätte er nicht genug Arbeit auf seinem eigenen Schreibtisch liegen. Aber nein, sein verdammter Stolz musste ihm wieder einmal im Wege stehen! Wem wollte er damit etwas beweisen?
Hilflose Wut stieg in ihm auf und brachte seinen Puls zum Rasen. Sollte er tatsächlich mit der Métro in die Vorstadt fahren müssen? Er schüttelte den Kopf und kontrollierte erneut die Leitung. Ein sauber geführter Schnitt ließ die Flüssigkeit langsam tröpfelnd auslaufen. Und es sah ganz nach einer mutwilligen Aktion aus. Ein Dummer-Jungen-Streich, was sonst? Immer wieder begegnete er verrückten Kerlen, die es auf teure Maschinen wie seine abgesehen hatten, um sie wie Trophäen zu sammeln. Oft genug stand sein auffälliges Motorrad irgendwo am Straßenrand.
Zornig trat er ein letztes Mal gegen den Reifen und raufte sich die Haare. Dann machte er sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station.
Wieder drückte er auf den Klingelknopf des unscheinbaren Häuschens, länger diesmal – sollte sie seine Wut ruhig hören! –,
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