Toedliche Luegen
aus seinem Hirn. Überall sah er Blut. Blut, das aus Jean Chasseurs aufgeschlitztem Bauch quoll und auf dem Boden eine große Lache um ihn bildete. Blut, das an seinen eigenen Hosenbeinen hochspritzte, als er neben Jean in die Hocke ging und mit seinem Stiefel unachtsam in die Pfütze getreten war.
Blut an seinen eigenen Händen.
Und immer wieder die toten Augen der Journalistin und die quälenden, letzten Worte des verblutenden Mannes. Renée Lubeniqi und Jean Chasseur waren in Hamburg auf den Organlieferanten für Doktor Ferrard gestoßen, davon war er jetzt überzeugt. Sie mussten die Beweise gefunden haben, nach denen sie all die Jahre gesucht hatten.
Und mit diesem Wissen hatten sie gleichzeitig ihr eigenes Todesurteil unterschrieben.
Wieder wurde ihm übel und der Ekel schüttelte seinen Körper. Bittere Galle stieg seine Kehle empor. Er spürte unendlich tiefes Entsetzen. Und Schuld. Es war seine Schuld! Denn er verdankte seine Niere – direkt oder indirekt – und somit sein Leben dem Mörder der Journalisten.
Klebte d emnach nicht auch das Blut an seinen eigenen Händen?
Hätte Beate ihren törichten Verdacht bloß für sich behalten! Renée und Jean wären ohne diesen Hinweis möglicherweise nie auf die Spur gestoßen, welche sie nach Hamburg zu dem Amerikaner und schließlich in ihren Tod geführt hatte. Wahrscheinlich hätten die Journalisten ihre Story nicht beendet. Aber wen interessierte das schon? Sie würden noch leben!
Warum konnte sie nie den Mund halten, wenn es angebracht war? Wieso hatte sie nicht auf ihn und seine berechtigten Einwände gehört? Beate mit ihrer Neugier und Starrköpfigkeit, die ihn selbst schon an den Rand der Verzweiflung getrieben hatten!
Und die heute das Fass zweifellos zum Überlaufen gebracht hatten.
Alain stöhnte auf. Die Finger seiner rechten Hand krallten sich um die Armlehne des Stuhles. Sein Kopf dröhnte. Die Stimme des sterbenden Journalisten wurde lauter und vorwurfsvoller. Unwillkürlich fuhren seine Hände zum Kopf und pressten sich auf die Ohren. Er wollte diese Stimme nicht mehr hören!
Alain schreckte zusammen, als er den leichten Druck von Durluttes Fingern auf seinem Arm fühlte. Überdeutlich spürte er wieder den klopfenden Schmerz in seiner linken Hand.
Abwartend, mit einer Spur Besorgnis in den grauen Augen blickte Durlutte den jungen Mann an. „Was hat Chasseur gesagt?“, erkundigte sich der Oberkommissar und sein drängender Tonfall legte die Vermutung nahe, dass er seine Frage bereits zum wiederholten Male stellte.
„Ich kam zu spät.“ Alain schluckte schwer und drückte seine Finger an die Stirn, als er flüsterte: „Er ist tot. Ich war zu spät. Eine Stunde. Wir waren um drei verabredet und ich kam zu spät. Ich war noch nie unpünktlich. Ich hätte ihnen helfen können, wenn ich mit dem Motorrad gefahren wäre. Tot. Alle beide.“
Hektisch wanderte Beate den Flur der Polizeistation auf und ab. Nur noch vereinzelt brannte Licht in den Büros. Von irgendwoher drang das abgehackte, metallische Klacken von Schreibmaschinentasten an ihr Ohr. In einem anderen Zimmer lief ein Radio, zwei Frauen gackerten und kicherten dazwischen.
Von Alain jedoch war weder etwas zu sehen noch zu hören.
Den ganzen Tag über hatte sie alle Hände voll zu tun gehabt, um die verschiedenen Interessen der monegassischen Besucher unter einen Hut zu bringen. So viel wie nie zuvor hatte sie improvisieren müssen, was ihr anfangs größtes Vergnügen bereitet hatte. Nach acht Stunden indes war trotz aller Begeisterung die Luft raus. Nicht eine freie Minute war ihr an diesem Tag vergönnt gewesen, in der sie bei Alain oder Renée Lubeniqi hätte anrufen können.
Und so erfuhr sie erst von dem furchtbaren Geschehen in der Rue Gwan-Valla , nachdem der pickelgesichtige Polizist an der Haustür geklingelt und sie im Befehlston aufgefordert hatte, in sein Auto zu steigen und mit ihm zum Polizeirevier zu fahren. Vergeblich kämpfte sie mit den Tränen, während Simon Bernard ziemlich unbeeindruckt seine schauerliche Version dieser Tragödie zum Besten gab. Als er Alains Verhaftung am Tatort erwähnte, setzte ihr Herzschlag aus. Die Zeit stand still, alles um sie herum wurde weiß und eiskalt. Renée war tot? Aber was hatte Alain damit zu tun? Er konnte Alain unmöglich verdächtigen, Renée und Jean ermordet zu haben! Das war einfach absurd!
Irgendwann öffnete sich eine Tür zum Gang und Oberkommissar Durlutte, eine korpulente, beeindruckende Erscheinung in
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