Toedliche Luegen
Das hochrote Gesicht der jungen Frau, sie mochte etwa in Beates Alter sein, wurde – Überraschung! – mit einem Schlag käseweiß.
Ah ja, s oviel also dazu, Familie Germeaux hätte sie erwartet.
Beate trat einen Schritt zurück und grüßte kleinlaut: „Hallo.“
„Oh!“ Nach der ersten Schrecksekunde hatte sich Juliette schnell wieder unter Kontrolle und knickste artig. „Fräulein Beate, nicht wahr? Herzlich willkommen in Paris. Ich bin Juliette, das Hausmädchen. Bitte.“
Ganz selbstverständlich nahm sie der deutschen Studentin die Tasche aus der Hand. Ihre Beflissenheit berührte Beate peinlich.
„ Bonjour, Juliette .“
„Treten Sie ein, Mademoiselle. Darf ich fragen, ob Sie einen angenehmen Flug hatten?“
Beate hielt den Atem an, als sie hinter dem Mädchen die riesige Eingangshalle des Hauses betrat. Sie musste sich zurückhalten, um nicht vor Ehrfurcht in die Knie zu sinken.
„Möchten Sie sich auf Ihrem Zimmer frisch machen oder darf ich Ihnen vorher etwas zu trinken anbieten?“
„Dazu kann ich nicht nein sagen. Mit einer solchen Affenhitze um diese Zeit hatte ich nicht ernsthaft gerechnet.“
„ Wenn ich Sie dann in den Salon bitten darf. Kaffee oder Tee? Wasser? Fruchtsaft? Was hätten Sie gerne?“
„Schwarzen Kaffee und Wasser, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“
„Keineswegs. Bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Juliette deutete auf eine gemütliche Sitzgruppe am Fenster und wirbelte davon, nur um wenige Minuten später mit den gewünschten Getränken zurück zu sein.
„Ich hatte gehofft, Monsieur Germeaux würde mich vom Flughafen abholen. Kann es sein, dass wir uns verpasst haben?“
Das Mädchen stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch vor Beate ab und schenkte Kaffee ein. „Das hätte ich fast vergessen. Verzeihen Sie meine Gedankenlosigkeit. Monsieur lässt sich entschuldigen. Er ist in geschäftlichen Angelegenheiten noch bis übermorgen in Brest.“
„Ach? Schöne Scheiße!“
Als hätte sie diesen Kommentar weder gehört noch verstanden, erklärte Juliette: „Um ehrlich zu sein, wir haben Sie erst in zwei Tagen erwartet. Aber das ist überhaupt kein Problem. Es ist ohnehin alles vorbereitet für Ihren Aufenthalt.“
Während Beate voll Genuss an ihrem Kaffee nippte, eilte Juliette in das zweite Stockwerk, um das Gästezimmer herzurichten. Dort atmete sie mehrmals tief durch und konnte nicht verhindern, dass ein breites Grinsen sich auf ihrem Gesicht behauptete. All ihre Bedenken bezüglich der Ansprüche von Beate Schenke waren verflogen, nachdem sie deren legeren, geradezu schlampigen Aufzug registriert hatte, in dem sie sich offenbar wohlfühlte, woraus sich schließen ließ, dass sie immer so herumlief. Diese Deutsche wäre vermutlich sogar mit belegten Broten statt mit einem Fünf-Gänge-Menü zufrieden. Und diese ordinäre Ausdrucksweise! Armes Mädchen! Wie lange würde es wohl dauern, bis Germeaux ihr das ausgetrieben hatte?
Wenig später stieg sie erneut die breite Treppe in das zweite Stockwerk der Villa empor, diesmal mit dem Hausgast im Schlepptau. Vor Beates Augen schwirrte es. Überall Marmor, Messing, Kristall, Gemälde und Skulpturen, weiche Teppiche – sie musste sich zwingen, ihr Erstaunen nicht offen zu äußern. Hatte sie denn tatsächlich vergessen, wie es war, in einem goldenen Käfig zu leben? Darin leben zu müssen? Gefangen zu sein? Als wüsste sie nicht selbst am besten, dass nicht alles Gold war, was da so hübsch funkelte und glänzte.
Sie schreckte auf und beschleunigte ihren Schritt, als sie Juliettes Stimme vom Treppenabsatz hörte: „Hier sind wir schon. Darf ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen?“ Erwartungsvoll öffnete das Hausmädchen eine zweiflügelige Tür und hielt sie für Beate auf.
Der verschlug es die Sprache beim Blick in das von Licht durchflutete Zimmer und ihr Herz machte einen Luftsprung vor Begeisterung. Heiliger Bimbam, das war sie! Obwohl es unmöglich war, gab es keinen Zweifel: Ihre Traumwohnung! Genauso hatte Karo sie gemalt. Erst vor wenigen Wochen hatten sie sich die Zeit damit vertrieben, stundenlang über den Entwürfen für ihre noch nicht vorhandene, künftige Wohnung zu sitzen und von Familie und Kindern zu träumen. Selbstverständlich hatten sie dabei keinerlei Gedanken an eine derartig exklusive Ausstattung verschwendet, da weder Karo noch sie mit den Mitteln für solch nobles Mobiliar gesegnet waren, nachdem sie sich von ihrem Elternhaus abgenabelt hatten, ohne sich die Option auf eine
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