Toedliche Luegen
nachfragen, ob er sich in der Lage fühlt, Besuch zu empfangen.“
„ Oh, bitte, machen Sie sich keine Umstände. Ich glaube nicht, dass dies nötig sein wird. Ich habe Sie ohnehin schon über Gebühr von Ihrer Arbeit abgehalten. Und Sie sagten doch, es ginge ihm gut. Ich verspreche, nicht lange zu bleiben und ihn mit meinem Besuch über die Gebühr anzustrengen.“
„ Es geht weniger um sein Befinden, wenn ich Bedenken habe, dass Sie ihn besuchen“, stellte die Schwester lapidar richtig. „Was ich damit sagen will, er reagiert mitunter äußerst impulsiv. Wenn es nicht nach seinem Willen geht, verliert er leicht die Beherrschung. Er hat das halbe Zimmer klein geschlagen bei seinem letzten Wutanfall.“
„Ups.”
Die Schwester ließ betreten die Schultern sinken. „Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege, allerdings scheinen … Wie soll ich sagen? … etwas schwierige, sehr schwierige Verhältnisse das Klima in dieser Familie zu beherrschen. Deswegen wäre es nett, wenn Sie mit Monsieur Germeaux und Doktor Ferrard reden könnten. So, hier wären wir.“ Mit einem an Mitgefühl und Bedauern erinnernden Ausdruck auf dem Gesicht verabschiedete sich die Krankenschwester von Beate: „Ich wünsche Ihnen viel Glück, Mademoiselle!“
„Glück?“
Die ältere Frau lachte freudlos. „Sie werden es brauchen.“
9 . Kapitel
Nach ihrem zweiten zaghaften Klopfen an die Zimmertür glaubte sie, ein mürrisches „ Quoi? “ zu hören, was sie als Aufforderung zum Eintreten nahm. Zögerlich drückte sie die Türklinke nach unten und betrat das Krankenzimmer von …
Alain Germeaux!
Da saß er also mit einem Buch in der Hand gegen die Kissen gelehnt. Um genau zu sein, lag er regelrecht hingeflegelt in den Kissen, wozu große Männer mit prächtigem Körperbau leicht neigten, wie sie aus Erfahrung wusste. Das Laken hatte er sich um die Hüften geknüllt und seine muskulöse Brust blieb kaum von der geöffneten Pyjamajacke verborgen. Beates Herz machte bei diesem Anblick einen heftigen Satz. Hatte er etwa Besuch erwartet?
Widerwillig hob er den Blick von den Zeilen und wandte ihr den Kopf zu, fixierte sie reglos, als gelte es, ihren Auftritt zu benoten. Sie konnte die Sechs, die er vergab, förmlich vor sich sehen. Er überlegte angestrengt – Was gab es da zu überlegen? –, was sie hier wohl zu suchen hatte, voller Misstrauen, wie ihr gar schien. Sein Blick war eisig und rief erschreckende Vorstellungen in Beate wach. Dann verdüsterte sich seine Miene, bis sich ein hartnäckig militanter Ausdruck in seinen wachsamen Augen festsetzte. Blaue Augen ohne jede Gnade oder Mitgefühl.
In diese r Sekunde erschien er ihr wie ein Mann, der seine Regeln selber aufstellte und niemandem Rechenschaft zu leisten hatte. Harte Muskeln und sehnige Kraft. Eine Urgewalt. Ausgeprägte Wangenknochen und ein Kinn, das stählerne Entschlossenheit verriet. Kein Foto dieser Welt würde je der realen Erscheinung dieses Mannes gerecht werden. Er war ein Eroberer, von der Natur zum Kampf geschaffen.
Ein Schauder rann Beate über den Rücken. Ohne danach gefragt oder selbst die Erfahrung gemacht zu haben – noch nicht –, war ihr klar, dass er erbarmungslos gegen seine Feinde vorging. Und mit ebensolcher Sicherheit wusste sie, dass er mit gerade diesem Atemzug entschieden hatte, in welche Kategorie Mensch er sie einordnen würde.
„ En quoi j’ai mérité ça? Gütiger Gott, wofür strafst du mich derart hart?“ Er spähte zur Zimmerdecke empor.
Gott antwortete ihm , wie bereits vermutet, nicht, deshalb zuckte Alain mit der Achsel und knirschte: „ Merde ! Heute habe ich offenbar meinen schwarzen Freitag.“
Überraschung! Sie war es demnach nicht gewesen, die er erwartet hatte. Tapfer ignorierte Beate das Zünglein an der Waage, welches sich bedenklich zur Seite der feindlichen Gruppe neigte. Wenn er sie erst einmal besser kennengelernt hatte, würde er seine Meinung über sie schnell revidieren.
„Hallo, Alain. Ich bin …“
„ Mais oui, je sais! Natürlich weiß ich, wer du bist!“, fiel er ihr ungehalten ins Wort. „ Le bâtard de Monsieur Germeaux! Damit erübrigt sich wohl jeder weitere Kommentar.“
Wieder nahm er sein enervierendes Schweigen auf und musterte unter halb geschlossenen Lidern die Besucherin. In der Zeit, die er dafür aufwandte, hätte sie ein Ei kochen können. Langsam schüttelte er den Kopf und es klang zutiefst überzeugt, als er nach einer ganzen Weile wie ein Raubvogel
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