Toedliche Luegen
einfach nicht auf Süßspeisen. War das etwa ihre Schuld?
„Ich möchte zu Alain Germeaux. Würden Sie mir freundlicherweise sagen, in welchem Zimmer ich ihn finde?“
„Selbstverständlich. Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu ihm.“
„Wissen Sie, wie es ihm geht? Er war ziemlich … na ja, drücken wir es mal höflich aus: betrunken. Dieser Kerl hat mir einen mordsmäßigen Schreck eingejagt, das können Sie mir glauben. Mir zittern jetzt noch die Knie, wenn ich dran denke. Da hat er sich eine wahrlich tolle Begrüßung für mich ausgedacht, reichlich dramatisch, finden Sie nicht? Er lag wie tot auf dem Fußboden und hat kaum noch geatmet, als ich ihn fand.“
„Gehören Sie zur Familie?“
„Nun, also …“ Beate druckste verlegen und ihre Ohrenspitzen röteten sich leicht. Mit dieser Frage hatte sie nicht unbedingt gerechnet, zumindest nicht derart schnell. Sie blies sich eine widerspenstige, ziegelrote Haarsträhne aus der Stirn, um Zeit zu schinden und sich unterdessen eine passende Antwort zurechtzulegen. „Also, ja. Im Prinzip schon. Pierre Germeaux ist mein … mein Vater. Soll heißen, ich bin seine uneheliche Tochter.“
Sie wartete genau zwei Sekunden auf eine Reaktion wie etwa ein entsetztes „Ah!“ oder „Oh!“, dann fügte sie hinzu: „Falls das einen Unterschied für Sie macht.“
Die ältere Schwester mit dem runden, freundlichen Gesicht blieb stehen und taxierte die Besucherin von Kopf bis Fuß. Trotzdem hatte Beate nicht den Eindruck, als würde sie das tun, weil die Umstände ihrer Geburt in deren Augen tatsächlich einen Unterschied machten. Viel mehr schien jetzt die Krankenschwester angestrengt nach den richtigen Worten zu suchen.
„ Aber nein, es macht keinen Unterschied, ob ehelich geboren oder nicht. Ich frage nur deshalb, weil es einige Probleme mit Monsieur Germeaux gibt. Keine Angst, äußerlich ist er wieder vollkommen hergestellt. Seinen Rausch hat er längst ausgeschlafen. Das scheint indes das geringste Übel gewesen zu sein. Nun, ich möchte nichts vorwegnehmen, denn Doktor Ferrard, der behandelnde Chefarzt, hat sich vorbehalten, persönlich mit einem Familienmitglied über seinen Patienten zu sprechen. Wenn Sie also nach dem Besuch bei Monsieur Germeaux noch etwas Zeit erübrigen können, würde ich Sie gern bei unserem Chefarzt anmelden.“
E rschrocken hob Beate die Hände und schüttelte vehement den Kopf. „Oh, ich weiß nicht, ob ich sehr hilfreich sein kann bei Fragen, Alain Germeaux betreffend.“
Sie fühlte sich unbehaglich bei der Vorstellung, sich in eine derart heikle Angelegenheit einzumischen, als würde sie wirklich zu dieser Familie gehören. Und sowohl die angespannte Beziehung der Brüder zueinander als auch die Verletzung auf Alains Bauchdecke versprachen eine Menge unangenehmer Fragen.
„Wie ich schon angedeutet habe, bin ich erst vor ein paar Tagen in Frankreich angekommen, vor zwei genau genommen, und ich kenne Alain … kaum.“ Beates Hand zupfte nervös an der Nasenspitze. „Um ehrlich zu sein, ich kenne ihn gar nicht. Es ist nämlich überhaupt das erste Mal, dass ich meinen Vater hier in Paris besuche. Und Alain habe ich mit Ausnahme auf einem zehn Jahre alten Foto nie zuvor gesehen. Da habe ich wohl ein klein wenig hochgestapelt, als ich behauptete, zur Familie zu gehören“, schloss sie kleinlaut. „Es tut mir leid.“
„ Wenn das so ist … Es war lediglich eine Frage.“
A us der Art, wie die Schwester sie weiterhin mit ernstem Blick von der Seite musterte, folgerte Beate, dass ihr das Problem mit Alain sehr am Herzen lag. Ein ungutes Gefühl beschlich sie, bis sie schließlich ihre ungezügelte Neugierde und ihr flottes Mundwerk verfluchte und bereit war, ein Vermögen für einen dringenden Abwesenheitsgrund zu zahlen. Hätte sie sich nicht als irgendeine x-beliebige Bekannte ausgeben und erst einmal aus sicherer Distanz die Lage sondieren können? Die Umstände ihrer Geburt und ihre verwandtschaftlichen Verhältnisse gingen niemanden etwas an.
„Es ist nämlich so, dass sich unser Patient dagegen sträubt, dass Doktor Ferrard den nächsten Angehörigen, eben Pierre Germeaux, benachrichtigt. Sie dagegen hat er … mit keiner Silbe erwähnt.“
„Möglicherweise hat er vergessen, dass ich … ach, stimmt ja“, fiel es Beate wieder ein. „Eigentlich wurde ich erst heute erwartet, sodass Alain nicht damit rechnet, dass ich ihn bereits besuchen komme.“
„ Wenn es Ihnen Recht ist, werde ich Sie ankündigen und
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