Toedliche Luegen
deutete auf ihren Teller. „Lass dein Fleisch nicht kalt werden.“
War es ein Wunder, dass ihr der Appetit längst vergangen war? Schmollend schob sie den noch halb vollen Teller zur Seite und griff stattdessen nach ihrem Weinglas und trank es in einem Zug leer.
„Mmmh, wie ich sehe, weißt du einen guten Tropfen zu schätzen. War das der zweiundachtziger Château Maximilien ? Ein außergewöhnlicher Jahrgang, findest du nicht auch? Von ihm sind bloß noch wenige Flaschen im Umlauf und entsprechend exorbitant sind die Preise. Pierre indes hat, wenn ich nicht irre – was höchst unwahrscheinlich ist –, aufgrund seiner unschätzbaren Beziehungen die Flaschen zum Vorzugspreis von lachhaften vierhundert Francs erstanden“, bemerkte Alain trocken und zuckte auf unnachahmliche Weise die Schultern, wie das nur ein Gallier konnte.
Der nächste S chluck verirrte sich in Beates Luftröhre. Bestürzt hielt sie sich die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten und den Wein, den sie respektlos wie Wasser soff, über dem Tisch zu verteilen. Ihre Ohrenspitzen färbten sich dunkelrot, während ihre Augen groß wie Untertassen wurden.
„Lass es dir schmecken, Kindchen.“
Glucksend würgte sie den Wein ihre Kehle hinab und keuchte: „Oh! Das … das sollte ein Witz sein, nicht wahr?“
Als er sie unverwandt anschaute und nichts erwiderte, stammelte sie: „N-nein? Das …“
Sie wusste, dass sie sprechen konnte. Sie war sich sogar ziemlich sicher, dass sie noch vor wenigen Minuten hervorragend artikuliert hatte. Jetzt dagegen schien ihr jedes Wort im Hals stecken zu bleiben
„T ut mir leid. Echt. Ich wusste nicht …“
„Ich bitte dich, für Papas Töchterchen ist uns selbstverständlich nichts zu teuer. Tu dir bloß keinen Zwang an. Du sollst dich schließlich in jeder Beziehung wie zu Hause fühlen.“
„ Du … du widerliches Ungetüm! Immerallesbesserwisser!“
P lötzlich packte sie das übermächtige Bedürfnis, ihm irgendetwas an den Kopf schmeißen zu müssen. Unauffällig wanderten ihre Augen über den Tisch und suchten nach einem passenden Gegenstand, der ihn nicht allzu sehr verletzen würde.
„Wage es ja nicht“, warnte er sie mit einem tierischen Knurren und verschränkte mit einer Körperhaltung, die genauso gut Warnung wie Provokation hätte sein können, die Arme vor der Brust.
„Was?“
„Das Messer, dem du gerade verschwörerisch zugezwinkert hast, in die Hand zu nehmen und nach unschuldigen Menschen zu werfen.“
„ Aber das … das hatte ich gar nicht vor.“ Völlig überrumpelt starrte sie ihn an. „Zumindest … mmmh, nicht wirklich. Und außerdem kann es wohl höchstens ein schlechter Witz sein, dich und das Wort Unschuld in einem Atemzug zu nennen.“
Gut beobachtet , dachte er, doch du wirst noch früh genug selbst herausfinden, ob das ein Witz ist oder nicht.
„Hat dich eigentlich bisher niemand darauf aufmerksam gemacht, dass du dich wie eine kleine, verwöhnte … chipie aufführst? Wie haben das deine geplagten Eltern all die Jahre ertragen?“ Er drosselte seine Stimme, bis sie höflich und dabei derart frostig klang, dass Beate eigentlich an einem Kälteschock hätte zugrunde gehen müssen. „Allerdings erklärt dieses Verhalten einiges.“
Sie zuckte zusammen. Was wollte er damit schon wieder andeuten?
„Man erzählt sich, du hättest dich in Bezug auf dein Studium nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert.“
Die Bestürzung auf ihrem Gesicht verwandelte sich in puren Zorn.
Ein kleines, amüsiertes Lächeln tauchte um seine Mundwinkel auf. „Was gäbe ich nicht alles dafür zu erfahren, was dein kleines Köpfchen gerade ausheckt. Ich wette, es hat mit meinem verfrühten und schmerzhaften Ableben zu tun.“
Hatte Pierre mit seinem Bruder geredet? Über sie , die Versagerin? Die verkrachte Existenz, die all ihre Pläne und Träume hinwarf, sobald sich unerwartete Hürden vor ihr auftaten? Oder besaß er, was selbstverständlich eine absolut lächerliche Vermutung war, die sich ihr gleichwohl bereits mehrmals aufgedrängt hatte, hellseherische Fähigkeiten?
Als sie ihre Stimme wiederfand (was zu ihrem Kummer länger dauerte, als man von einer halbwegs intelligenten Person erwarten durfte), erwiderte sie: „W-woher weißt du das?“
W ährend ihr zum Heulen war, lachte Alain auf. Es war ein dunkles, kraftvolles Lachen, das die Luft zwischen ihnen auf eigenartige Weise vibrieren ließ und sie mit körperlicher Wucht traf.
„Ich gebe zu, bis eben habe ich es
Weitere Kostenlose Bücher