Tödliche Mitgift
wenn mir jemand etwas vormachen will. Stimmen sind verräterisch. Die Frau klang aufgeregt, war aber ausgesprochen höflich. Es war eine unangenehme Situation.«
»Können Sie etwas über das Alter der Frau sagen?«
»Nein, das kann man aufgrund einer Stimme schlecht abschätzen. Mir ist aufgefallen, dass sie nach Maiglöckchen und Patschuli roch.«
»Wie reagierte Ihr Hund auf den Besucher?«, erkundigte sich Hartlieb und deutete auf den hellen Mischlingshund, der neben dem Tisch lag und nur ab und zu ein Ohr aufstellte.
»Laila ist eine ausgebildete Blindenhündin. Die beste, die ich je hatte, aber sie ist kein Wachhund. Ich brauche kein Tier, das kläfft und knurrt und an der Leine zerrt oder imaginäre Einbrecher jagt. Sie stand völlig ruhig neben mir. Ich erinnere mich, dass die Frau so was sagte wie: ›Einen schönen Hund haben Sie. Ist da ein Schäferhund mit drin?‹«
»Erklären Sie es uns bitte noch einmal genau: Was wollte die Frau von Ihnen?«
»Sie meinte, die Situation sei ihr etwas peinlich: Sie hätte Berry – das ist tatsächlich Bernhard Löwgens Spitzname, das habe ich mal mitbekommen – ein Päckchen geschickt, aber wohl den Inhalt vertauscht. Sie sagte, sie wolle das Päckchen auch gar nicht mitnehmen, sondern es sich nur kurz ansehen, um sicher zu sein … Alles höchst suspekt, fand ich.«
»Was genau hat Sie misstrauisch gemacht?«
»Sie war nervös, sie hat zu viele Worte gemacht. Leute, die lügen, neigen dazu zu übertreiben.«
»Die Frau wusste, dass Bernhard Löwgen verreist war?«
»Es machte den Anschein, ja. Als ich rigoros ablehnte, hat sie recht schnell aufgegeben und ist gegangen.«
»In der Tat merkwürdig«, stimmte Pia zu und nahm einen Schluck von dem Kaffee, den Walther Hartlieb auf die Becher verteilt hatte. »Und was ist mit dem Einbruch in Löwgens Wohnung?«
»Es war kein richtiger Einbruch. Wissen Sie, ich war froh, dass die Frau so schnell einen Rückzieher gemacht hat. Ich ging in die Küche und stellte das Fenster auf Kipp, um zu hören, ob sie mit ihrem Auto auch wirklich das Grundstück verlässt. Aber ich hörte nichts. Ich stand unschlüssig da, wartete und dachte dabei: Vielleicht muss sie noch in die Karte sehen, programmiert ihr Navigationssystem neu oder telefoniert im Auto … Ich suchte nach allen möglichen Erklärungen, um nicht davon ausgehen zu müssen, dass die Frau noch auf dem Grundstück ist und um mein Haus herumspioniert. In dem Moment klingelte mein Telefon und lenkte mich von der unerfreulichen Angelegenheit ab.«
»Wer war denn dran?«
»Eine Freundin. Wir telefonierten nicht sehr lange. Aber während dieser Zeit habe ich mich nicht weiter auf die Geräusche draußen konzentrieren können. Wissen Sie, man darf sich auch nicht verrückt machen. Ich legte den Vorfall für mich ad acta. Bis zum nächsten Vormittag …«
»Was ist da passiert?«, fragte Hartlieb.
»Ich war hochgegangen, nachdem ich meinen und Herrn Löwgens Briefkasten gelehrt hatte. Für Bernhard Löwgen waren ein paar Briefe und Reklamesendungen dabei – er weigert sich ja hartnäckig, den Bitte keine Werbung Aufkleber an seinem Kasten anzubringen. So ist quasi immer etwas für ihn darin. Ich nahm die Post und ging die Treppe hoch. Das Erste, was mir auffiel, war, dass nicht umgeschlossen war. Gut, der Schlüssel steckte, aber ich schließe ihn immer ein Mal im Schloss um. Das war er an diesem Vormittag aber nicht. Ich verbuchte es noch als meine eigene Nachlässigkeit, bis ich in der Wohnung stand und es roch!«
»Was haben Sie gerochen?«
»Schweiß und Parfüm. Der Geruch von Stressschweiß ist unverkennbar. Ganz anders, als wenn einer Sport getrieben hat. Und dann diese Mischung mit einem Parfüm, dieser Geruch nach Patschuli und Maiglöckchen. Es war derselbe Duft, den auch die Frau getragen hatte, die tags zuvor nach Herrn Löwgens Post gefragt hat. Aber oben habe ich es viel intensiver gerochen.«
Ein Geruch als Einbruchshinweis war nicht gerade etwas Handfestes, so wie es sich die Polizei normalerweise wünschte. Bei dieser Zeugin war Pia allerdings bereit, eine Ausnahme zu machen. Die meisten Menschen, die in Besitz ihrer Sehkraft waren, und die machte ja angeblich achtzig Prozent der Sinneswahrnehmungen aus, lieferten einem schlechtere Zeugenaussagen als Esther Winkler. »Ist Ihnen sonst noch etwas in der Wohnung von Herrn Löwgen aufgefallen?«
»Ja. Der Stapel mit der Post lag anders, als ich ihn einen Tag zuvor abgelegt hatte. Da ich beim
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