Tödliche Mitgift
vorher gemacht?«, hakte Pia nach, um die Fanelli-Version der Ereignisse zu hören.
»Er hatte eine Firma, die sich mit dem Bau von Alarmanlagen beschäftigt hat. Eine Weile lief das auch ganz erfolgreich, doch dann sind sie in Schwierigkeiten geraten. Es muss ihn jemand aus seiner Belegschaft übers Ohr gehauen haben. Aber in Deutschland hat man ja selbst Schuld, wenn man eine eigene Firma gründet: Matthias trug die Verantwortung für alles. Er wurde verurteilt und hat seine Strafe abgesessen.«
»Und jetzt macht er sich schon wieder selbstständig?«, fragte Pia. Matthias’ Herkunft deutete eigentlich nicht auf das Vorhandensein eines größeren finanziellen Spielraumes hin.
»Er hat doch keine Wahl«, sagte Francesco Fanelli und bedachte Pia mit einem wütenden Blick. »Wissen Sie, wie das ist, wenn einer mal im Gefängnis war? Wenn er hinterher mit Glück einen neuen Job findet, dann gibt es spätestens nach Vorlage des polizeilichen Führungszeugnisses ein Problem. Es reicht euch nicht, jemanden zu bestrafen, indem ihr ihn einsperrt. Hinterher geht der Tanz doch erst richtig los!«
»Da ist etwas dran«, bestätigte Pia, ohne auf das ihr und euch in der Aussage einzugehen. »Andererseits ist das Unrecht viel früher geschehen, begangen durch denjenigen, der zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist. Was soll sonst mit den Menschen geschehen, die rechtskräftig verurteilt werden?«
»Strafe macht die Taten nicht ungeschehen«, begehrte Fanelli auf. Seine Faust öffnete und schloss sich um den schweren Schraubenschlüssel, den er noch in der linken Hand hielt.
»Francesco«, sagte seine Frau mahnend.
Er beachtete sie nicht, sondern fuhr, an Pia gewandt, fort: »Es hängt immer viel daran, wenn einer ins Gefängnis muss. Unschuldige wie unsere Tochter Caterina, die von nichts eine Ahnung hatte, werden mitbestraft. Caterina musste umziehen, weil sie sich die große Wohnung nicht mehr leisten konnte. Da waren nichts als Schulden, und sie hat eine Menge Freunde verloren in der Zeit. Wenn man Gerechtigkeit sucht, findet man nichts als … Hohn.«
»Die Kommissarin kann doch nichts dafür, Francesco. Die macht auch nur ihre Arbeit«, sagte Rosa Fanelli beschwichtigend. »Ich werde Ihnen die Telefonnummer aufschreiben, unter der unsere Tochter und unser Schwiegersohn erreichbar sind.«
Zurück im Büro der Autowerkstatt, wartete Pia, bis Rosa Fanelli alles notiert hatte. Aufgrund der Beteuerungen der Fanellis vermutete sie, dass die beiden sehr wohl wussten, wo genau sich ihre Tochter und ihr Mann in Italien aufhielten. Aus einem bestimmten Grund wollten sie aber nur mit einer Mobilnummer herausrücken. Vielleicht hatten die beiden Fanellis ganz allgemein wenig Zutrauen zur Arbeit der Polizei. Vielleicht gab es aber auch noch einen speziellen Grund, aus dem sie ihr etwas verschwiegen. Hatte sie etwas übersehen? »Wenn Ihnen noch was einfällt, können Sie sich jederzeit bei uns melden«, sagte Pia und legte ihre Karte auf den Schreibtisch.
»Natürlich.« Selbst diese karge Antwort konnte das Widerstreben und die Besorgnis, die Rosa Fanelli zu verspüren schien, nicht verbergen.
Auf dem Weg zu ihrem Wagen überraschte Horst-Egon Gabler sie mit einem Anruf auf ihrem Mobiltelefon. Dass der Chef persönlich anrief, kam selten vor. Im Fall Dreyling sei neues Material aus Italien eingetroffen, teilte er ihr mit. Pia, die nach dem Gespräch mit den Fanellis eigentlich Feierabend hatte machen wollen, merkte, wie sich erneut ein Stoß Adrenalin in ihren Blutbahnen breitmachte. »Ich bin auf dem Weg ins Kommissariat«, sagte sie, »und außerdem habe ich auch ein paar Neuigkeiten in dieser Angelegenheit.« Sie rief Hinnerk an, um ihn darüber zu informieren, dass es später werden konnte. Sie waren in seiner Wohnung verabredet, und Pia wusste, dass er etwa um diese Zeit nach Hause kommen würde.
»Geht klar, ich wollte sowieso noch zum Training«, antwortete er bestens gelaunt, sodass Pia das Handy noch ein paar Sekunden überrascht anstarrte, nachdem er aufgelegt hatte. Das war jetzt irgendwie auch nicht gut …
Sie hatte gerade ihre Jacke mit einem befriedigend zielgenauen Wurf auf die Fensterbank in ihrem Büro befördert und die Tasche abgelegt, als Gabler im Türrahmen erschien. Er trug einen dunkelgrauen Zweireiher mit weißem Hemd und kobaltblauer Krawatte. Die Duftwolke eines herben Rasierwassers schwebte zu ihr hinüber. Zusammen mit seinen millimeterkurzen grauen Haaren und dem zerfurchten Gesicht sah er
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