Tödliche Mitgift
klickte sich durch eine ganze Reihe ähnlicher Bilder, immer schneller, sodass sich die Fotos aus dem Hotelzimmer zu einer kaleidoskopartigen Dokumentation über einen gewaltsamen Tod verdichteten. Der Bettüberwurf unter dem Kopf der Frau und auch der Teppichboden unter dem Bett waren dunkel von geronnenem Blut. Anders als in Horrorfilmen dargestellt, war das Blut jedoch nicht gespritzt, sondern hatte sich in einem Schwall ergossen. Es sah so aus, als hätte der Täter die Schnittseite am Hals seines Opfers gen Boden gedreht. Dadurch konnte es durchaus sein, dass die Bekleidung des Täters gar nicht oder nur wenig mit dem Blut des Opfers in Berührung gekommen war. Wie hätte er auch sonst durch ein belebtes Hotel flüchten sollen?
Pia hob, von einer unangenehmen Erinnerung bedrängt, den Kopf. Was hatte sie noch zu Nele gesagt, um sie vom leidigen Thema der Malerei abzubringen: Das nächste Mal wird es bestimmt wieder eine Studie in Rot – Blutrot.
8. Kapitel
E sther Winkler bewegte sich sicher und anmutig durch ihre Wohnung. Pia konnte kaum glauben, dass sie blind war. Sie stellte drei Becher und eine Thermoskanne Kaffee auf den Tisch und bot Walther Hartlieb und Pia Korittki an, am Küchentisch Platz zu nehmen.
»Wenn Ihre Kollegen mich gestern nicht nach Bernhard Löwgen gefragt hätten, hätte ich die Angelegenheit wohl auf sich beruhen lassen«, sagte sie selbstbewusst. »Der Vorfall neulich erschien mir zwar etwas seltsam, aber nicht bedrohlich.« Sie war eine mittelgroße Frau Anfang vierzig, bekleidet mit einer Jeans und einer schwarzen Strickjacke. Ihr Haar war kurz und sah frisch geschnitten aus; auf ihrer Nase, die mit blassen Sommersprossen bedeckt war, trug sie eine modische Brille mit getönten Gläsern, die ihre Augen verdeckte.
»Können Sie uns noch einmal schildern, was genau passiert ist?«, fragte Pia und hätte schwören mögen, dass sie von der Frau, die ihr nun das Gesicht zuwandte, gemustert wurde.
»Bernhard Löwgen ist mein Untermieter. Wir kommen gut miteinander aus, weil er ein ruhiger Zeitgenosse ist, der regelmäßig seine Miete zahlt. Und auch ansonsten gibt es keine Probleme mit ihm. Eigentlich fährt er nie weg. Als er mir ankündigte, er würde kurzfristig nach Italien verreisen, und mich darum bat, während seiner Abwesenheit seine Fische zu füttern und die Post reinzuholen, konnte ich das schlecht ablehnen.«
»Hat er einen Grund für die Reise genannt?«
»Eigentlich nicht. Er ist ein eher verschlossener Typ. Ich glaube, er sagte so etwas wie: ›Ich will eine Freundin dorthin begleiten …‹, was mich etwas wunderte, denn er hatte in der Zeit, in der er hier wohnt – das sind etwas über drei Jahre –, meines Wissens nie eine Freundin.«
»Können Sie sagen, an welchem Tag er abgereist ist?«
»Ja, am zehnten Juli, ganz früh morgens. Er wurde von einem Wagen abgeholt.«
»Hat er im Vorfeld erwähnt, wer den Wagen fahren würde?«
»Nein – ich bin davon ausgegangen, dass es ein Taxi ist. Seitdem habe ich regelmäßig Herrn Löwgens Fische gefüttert. Die Post aus seinem Postkasten habe ich immer auf die Kommode oben in seinem Flur gelegt. Es muss ja nicht jeder gleich mitkriegen, dass er im Urlaub ist.«
»Hat er Ihnen den Wohnungsschlüssel gegeben?«
»Wir haben seinen Wohnungsschlüssel oben stecken lassen. Wissen Sie, ursprünglich war das hier ein Einfamilienhaus, von dem dann die obere Wohnung abgetrennt wurde. Wir sind davon ausgegangen, dass es ausreicht, wenn die Haustür unten abgeschlossen ist. So muss ich mich nicht mit einem zusätzlichen Schlüssel belasten.«
»Ich verstehe«, sagte Pia. »Was hat es mit der Person auf sich, die nach Bernhard Löwgens Post gefragt hat?«
»Am Dienstag, den achtzehnten Juli, gegen sechs Uhr abends klingelte es bei mir an der Haustür. Meine Freunde melden sich vorher telefonisch bei mir an, aber ich dachte, es wäre jemand vom Supermarkt, der mir die Lebensmittel anliefert, die ich bestellt hatte. Deshalb öffnete ich einfach die Tür, und schon stand eine mir unbekannte Frau im Treppenhaus. Sie stellte sich mit dem Namen Bergmann vor und behauptete, eine gute Freundin von Bernhard Löwgen zu sein. Das fand ich seltsam. Wie ich schon sagte, er hat kaum Freunde, sondern ist mehr für sich. Und die Stimme der Frau hatte ich noch nie gehört.«
»Wie hat sie sich angehört?«
»Eine eher dunklere Tonlage, angenehm. Sie klang so, als gäbe sich die Frau Mühe, fehlerfrei zu sprechen. Ich höre recht schnell,
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