Tödliche Mitgift
eher wie potenzielles Klientel des Kl aus, nicht wie dessen Leiter.
»Starren Sie mich nicht so an, Frau Korittki. Ich hab heute den zwanzigsten Hochzeitstag und muss fein essen gehen. Ich war schon zu Hause und hab mich umgezogen, und meine Frau hat mich nur unter Morddrohungen noch mal gehen lassen. Das hier …«, er reichte ihr ein flaches Päckchen, »ist aus Italien eingetroffen. Schauen Sie es sich schon mal in Ruhe an. Morgen können wir dann darüber reden.«
»Geht klar. Viel Spaß heute Abend.«
Er hob die Hand zum Gruß und zögerte dann.
»Liegt noch was an?«, wollte Pia wissen.
»Hm, ist noch jemand von unseren Leuten hier?«
»Sieht nicht so aus. Wieso fragen Sie?«
»Nicht so wichtig, schönen Feierabend.« Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, schüttelte Pia den Kopf. War das ein Anflug von Besorgnis gewesen? Sie würde diesen Arbeitstag als »Tag der unerwarteten Reaktionen« verbuchen. Erst Bianca Nowak, dann Hinnerk und nun auch noch ihr Chef, dessen Verhalten normalerweise so vorhersehbar war wie die Mondphasen …
Pia öffnete zum zweiten Mal an diesem Tag einen Umschlag, der mit dem Fall Dreyling zu tun hatte, und schüttete den Inhalt auf dem Schreibtisch aus. Eine CD in einer durchsichtigen Plastikhülle fiel heraus. Dann, etwas zögerlich, rutschte eine Mappe aus roter Pappe hinterher; sie war den Handakten, die sie hier im Kommissariat benutzten, nicht unähnlich. Ein paar kopierte Berichte lagen darin, auf die Pia nur einen kurzen Blick warf, da sie alle in italienischer Sprache verfasst waren.
Sie schmiss die CD ins Laufwerk und klickte sich durch das Menü. Die Kollegen aus Italien hatten ihr die Tatortfotos zugeschickt. Pia seufzte leise, dann wurde ihr bewusst, dass niemand mehr da war, der sie hören konnte, und sie schickte einen kräftigen Fluch hinterher. Schon besser. Bei genauerer Betrachtung der detaillierten Aufnahmen wünschte Pia sich kurz, sie hätte heute auch ihren zwanzigsten Hochzeitstag …
Die ersten Fotos zeigten das gesamte Hotelzimmer. Das Opfer, eine Frau, die wie eine groteske Karikatur der lächelnden Braut auf den Hochzeitsbildern aussah, lag bäuchlings auf einem breiten Doppelbett; ihr Kopf befand sich am Fußende, das Gesicht war seitwärts zur Kamera gedreht, so als sähe sie jemanden an, der neben ihr stand. Die Frau trug ein Sommerkleid mit Spaghettiträgern, das nach oben gerutscht war und die Sicht auf ihren schwarzen Slip freigab. Ihre Beine waren nackt und dünn, an ihrem rechten Fuß trug die Frau eine Sandalette, die so aussah, als wäre sie ihr zwei Nummern zu groß. Wie ein Kind, das mit Mamas Anziehsachen spielt, dachte Pia. Wie alt war Annegret Dreyling gewesen? Ende zwanzig, also alles andere als ein Kind …
Das Gesicht des Opfers zeigte die typische Blässe des Todes, die Pia schon oft gesehen hatte. Im grellen Kontrast dazu wirkte der große Fleck auf der Steppdecke unter dem Kopf der Toten eher schwarz als dunkelrot.
Pia klickte weiter, von Bild zu Bild, zoomte sich vom Gesamtbild des Tatorts näher an das Opfer heran. Die Qualität der Fotos war exzellent; die Polizeifotografen in Perugia verstanden sich offenbar auch auf ihre Arbeit. Sie konnte auf den Detailaufnahmen erkennen, dass der Schnitt, der quer über die Kehle des Opfers geführt worden war, von einer scharfen Klinge verursacht worden sein musste, die fast an ein Skalpell denken ließ. Die Haut, die Sehnen, der Kehlkopf und die Arterien waren nicht zerfetzt, sondern sauber durchschnitten, wie in einem Anatomie-Lehrbuch. Ein tiefer Halsschnitt war, technisch gesehen, nichts anderes als eine Schächtung, erinnerte Pia sich. Durch den Halsschnitt werden zuerst die Kehle, dann die beiden Halsschlagadern durchtrennt, was angeblich zu einem schnellen, schmerzlosen Tod führt, weil das Gehirn sofort ohne Blutzufuhr ist. Eine Annahme, die zum Beispiel unter Tierschützern heftig umstritten war. Auch konnte man die Tatsache, dass die Opfer bei einem solchen Schnitt nicht schreien, eher darauf zurückführen, dass man mit durchtrennter Luftröhre nicht schreien konnte. Manchmal erstickten die Opfer auch an ihrem eigenen Blut, das in ihre Lungen lief. Meistens war die Todesursache bei dieser Art von Halsschnitt der rasche Blutaustritt durch das Verletzen der im Hals verlaufenden vier großen Adern und die damit verbundene Unterversorgung mit Sauerstoff im Gehirn. Der Todeskampf der Frau auf den Fotos hatte wahrscheinlich nur wenige Minuten gedauert. Nur …?
Pia
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