Tödliche Mitgift
ihre Einkaufstüten aus dem Kofferraum, sperrte den Wagen ab und ging die Hartengrube hinunter zum Rohwedders Gang.
Pia wohnte in dem hintersten Ganghaus, einem dreistöckigen alten Gebäude, in dessen Erdgeschoss eine Ärztin, Susanne Herbold, mit ihrem sechsjährigen Sohn lebte. Dieser Ärztin gehörte das Haus, und sie nutzte auch den winzigen Garten, der mit einem Zaun vom Gang abgetrennt war. Das erste Obergeschoss war seit Langem an den Russen Andrej Sergjewitsch Marojoff vermietet, die Dachwohnung bewohnte Pia. Sie sah ihre Mitbewohner nur noch selten, seit sie so viel Zeit in Hinnerks Wohnung verbrachte. Aber das war ja nun vielleicht schon Geschichte, dachte sie zynisch, während sie die knarrenden Holzstufen des Ganghauses hochstieg. Sie brachte die Einkaufstüten in ihre Wohnung, ging wieder hinunter und klopfte gegen die Türfüllung von Andrejs Wohnungstür. Einen kurzen Moment hoffte sie, er wäre nicht da, doch dann hörte sie Schritte, und die Tür ging auf.
Andrej besaß die Statur eines Bären, immerhin war er noch einen halben Kopf größer als Pia. Im ersten Moment, nachdem er die Tür aufgerissen hatte, schaute er Pia aus zusammengekniffenen Augen ratlos an.
»Hey, Andrej, hab ich dich geweckt?«, fragte sie und erinnerte sich erst in diesem Moment wieder daran, dass er ab und zu Nachtschicht hatte, genau wie Hinnerk.
»Pia, du bist es! Nein, nicht wirklich geweckt. Kann ich dir helfen?«
»Nein. Ich habe schlechte Neuigkeiten. Deine Katze ist tot, überfahren worden, wie es aussieht. Sie liegt oben am Dom in der Nähe des Denkmals im Gras. Ich habe sie eben entdeckt, als ich nach Hause gekommen bin.«
Pia registrierte besorgt, wie Andrejs Gesicht an Farbe verlor. Er starrte an ihr vorbei auf den Türrahmen, als wollte er ihr in diesem Moment keinesfalls in die Augen sehen. Sein Kiefer schob sich vor und wieder zurück, er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Bist du dir sicher, dass es Juletschka ist?«
»Ja, bin ich. Soll ich dich hinführen?«
»Bitte.«
Die tote Katze lag noch genauso da wie vor einer Viertelstunde, doch Pia meinte zu erkennen, dass die Beine des Tieres langsam steif wurden. Wann an diesem Tag war die Katze wohl zu Tode gekommen?
Andrej ging neben dem Tierchen in die Hocke und strich mit den Fingern vorsichtig über das Fell. Julenka war eine dreifarbige »Glückskatze« gewesen. Seine Hand zuckte zurück, wohl weil sie sich ungewohnt kühl und steif anfühlte. Er seufzte leise, legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben in den grauen Abendhimmel.
»Was machen wir mit ihr?«, fragte Pia. Sie wollte ihn ablenken und außerdem den toten Körper von hier fortschaffen, solange das noch einigermaßen problemlos möglich war.
»Ich würde sie gern irgendwo begraben«, sagte er und sah sie trotzig an. »Meinst du, Susanne …«
»Ich glaube nicht, dass Susanne Herbold über ein Katzengrab in ihrem Garten begeistert wäre. Was ist, wenn ihr Sohn Julenka aus Versehen ausbuddelt?«
»Nein, du hast recht. Das geht nicht. Ich hol erst mal einen Karton, damit wir sie von hier wegbringen können. Wartest … wartest du bitte so lange hier?«
Pia nickte. Sie hatte ohnehin nichts Besseres vor. Als Andrej in der Hartengrube außer Sichtweite war, ging sie zu ihrem Auto und lehnte sich gegen die Beifahrerseite. Während sie den toten Katzenkörper im Auge behielt, zog sie ihr Mobiltelefon hervor und wählte Hinnerks Nummer. Im Festnetz ging erwartungsgemäß keiner ran, aber auch unter der mobilen Nummer bekam sie nicht mehr zu hören als die unpersönliche Ansage, die ihr mitteilte, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei. Was hatte sie eigentlich erwartet? Frustriert steckte sie das Telefon wieder in die Tasche und zwang sich, an etwas anderes zu denken. An Italien zum Beispiel …
Da Andrej sich standhaft weigerte, seine Katze fachgerecht entsorgen zu lassen, fuhr Pia ihn nach einigem Hin und Her raus ins Lauer Holz, wo er ein würdiges Katzenbegräbnis improvisierte. Sie verstießen damit bestimmt gegen das eine oder andere Gesetz aber dafür schien nach der kurzen Zeremonie Andrejs Seelenfrieden einigermaßen wiederhergestellt zu sein. Auf der Rückfahrt grübelte Pia darüber nach, warum es ihr immer einigermaßen gut gelang, mit dem Schmerz und der Trauer anderer Frauen fertig zu werden, während sofort ihr Helfersyndrom zutage trat, wenn ein Mann wie Andrej litt.
Als sie zum zweiten Mal an diesem Abend ihr Auto in der Nähe der Hartengrube parkte,
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