Tödliche Mitgift
war es schon fast dunkel. Es würde ein weiterer, kühler Sommerabend ohne die Chance auf ein Bier im Straßencafé werden. Vor Andrejs Wohnung angekommen, knurrte Pia vernehmlich der Magen und erinnerte sie an ihre Pläne bezüglich des Abendbrots. Sie blickte nach oben, wo die Treppenstufen zu ihrer Wohnung im Dunkeln des vernachlässigten Treppenhauses verschwanden. Der Gedanke an ihre leere Wohnung deprimierte sie.
»Trinkst du noch einen Schluck mit mir? Auf Juletschka. Ich habe, glaube ich, noch zwei Flaschen Gschelka da«, hörte sie Andrej über seine Schulter hinweg sagen, als er seine Wohnungstür aufschloss. Es war nicht gerade die charmanteste Einladung, die Pia je erhalten hatte, aber vielleicht eine der originellsten, zum Gedenktrunk an eine überfahrene Katze gebeten zu werden. Gschelka war Andrejs bevorzugte Wodka-Sorte, die er aus seiner Heimat mitbrachte. Das Zeug war nicht ohne, doch in seiner Wirkung durchaus berechenbar.
»Ja, ich komme gleich zu dir runter. Hast du auch Hunger? Ich kann Baguette und etwas Käse mitbringen. Ich habe nämlich den ganzen Tag noch nichts Richtiges gegessen.«
»Ich könnte auch etwas zu essen vertragen. Wir schmeißen einfach zusammen«, meinte er.
Um kurz nach zwölf war Pia tot. Fast tot, denn sie schaffte es noch, auf allen vieren die Treppe hinaufzukriechen, ihre Wohnung aufzuschließen und in voller Bekleidung auf ihr Bett zu fallen. So jedenfalls erwachte sie vier Stunden später. Sie war so durstig, dass sie ihre Zunge nur mit einem schmerzhaften Reißen vom trockenen Gaumen lösen konnte. Außerdem war ihr schlecht, und ihr dröhnte der Kopf. Mit geschlossenen Augen ertastete sie eine Flasche Wasser, die neben ihrem Bett stand, und als sie die geleert hatte, fühlte sie sich dem Leben wieder etwas näher als dem Tod.
Nun drückte jedoch ihre Blase so sehr, dass sie aufstehen musste. Sie wankte ins Badezimmer, musste sich dabei immer wieder an den Zimmerwänden abstützen. Nur nicht übergeben, dachte sie, das wäre der Anfang vom Ende. Besser, es irgendwie durchstehen, der Körper würde auf andere Art und Weise damit fertig werden. Seufzend sank sie auf die Toilettenschüssel. Anschließend schaufelte sie sich, den Blick in den Spiegel meidend, kaltes Wasser ins Gesicht. Das brachte sie so weit zu Bewusstsein, dass sie ihren Wecker vorausschauend auf fünf Uhr stellte, bevor sie noch einmal in ihr Bett fiel.
Das Erwachen nach einer weiteren Stunde Schlaf war aber noch schlimmer …
»Strafe muss sein«, murmelte sie, als sie sich mühsam aufrichtete und sich sofort den Kopf halten musste. In ihrem Schädel schien so etwas wie eine Boulekugel herumzutrudeln und bei jeder Bewegung gegen die Schädeldecke zu donnern. Gschelka auf fast leeren Magen, wie konnte ich nur!, dachte sie. Russische Trinkgewohnheiten sind für gewöhnliche Norddeutsche wie mich wohl nicht sonderlich bekömmlich. Dann rannte sie ins Badezimmer, um sich entgegen ihrem Vorsatz doch noch zu erbrechen. Es kam aber nichts als gallig schmeckende Magensäure und verschaffte ihr keine Erleichterung. Dafür kehrte langsam die Erinnerung an gewisse Einzelheiten zurück: Sie hatten Baguettes und Käse auf den Tisch gelegt, sich kleine Stücke abgebrochen, den Gschelka dazu aus Bechern getrunken und über Katzen, Freunde, Heimat und die Russenmafia philosophiert. Über die Russenmafia? Da musste sie schon ziemlich hinüber gewesen sein. Andrej hatte entdecken müssen, dass eine seiner Flaschen nur noch halb voll war, und aus der Not heraus waren ihm ein paar Möglichkeiten eingefallen, mit diesem, seiner Meinung nach beschränkten, Alkoholvorrat über die Runden zu kommen. Pia erinnerte sich dunkel, dass sie dazu übergegangen waren, das Baguette in den Wodka zu tunken. Andrej hatte den Rest dann mit einem Siphon mit Luft aufgesprudelt. Waren die Flaschen eigentlich leer geworden?
Pia erhob sich mit einem Stöhnen und trottete unter die Dusche. Um Viertel nach sechs ging der Traveliner zum Hamburger Flughafen, und sie hatte noch nicht gepackt.
13. Kapitel
A ls Pia das Flughafengebäude des Aeroporto Firenze-Peretola verließ, traf die Mittagshitze sie wie ein Fausthieb gegen die Schläfe. Commissaria Vittoria Sponza, die sie abgeholt hatte, ging ihr auf zehn Zentimeter hohen Bleistift-Absätzen mit energischen Schritten voraus. Sie war eine attraktive Vierzigerin mit langen Haaren und sonnengebräunter Haut. Ihre gerundeten Formen wurden von einem cremefarbenen Hosenanzug betont, sie trug
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