Tödliche Mitgift
zum Telefonhörer.
»Es besteht eine auffällige Ähnlichkeit zu einem Mann namens Marcel Kroll, dem wir hier in Hamburg immer mal wieder unsere Aufmerksamkeit schenken müssen. Ich hatte gerade wieder mit ihm zu tun; deshalb ist es mir sofort aufgefallen. Wir können Herrn Kroll ja einen kleinen Besuch abstatten, am besten ganz überraschend für ihn«, schlug Kriminalkommissar Alexander Meier aus Hamburg nach einem kurzen Gespräch mit Pia bereitwillig vor. »Es könnte recht interessant werden, auch für uns hier. Marcel Kroll hatte in der Vergangenheit immer mal wieder Verbindungen ins Milieu.«
»Was für Verbindungen?«
»Hehlerei, kleinere Drogendelikte. Ein kleiner Fisch, der versucht, im Fahrwasser der großen Banden von St. Georg seinen Unterhalt zu verdienen.«
»Eigentlich passt das nicht unbedingt zu dem, was wir suchen«, sagte Pia, »aber ich würde ihn mir trotzdem gern ansehen.« Sie war nicht gerade optimistisch. Soweit sie auf den ersten Blick sehen konnte, gab es keinen Zusammenhang zwischen dem betreffenden Mann in Hamburg und den Nowaks oder der Familie Dreyling in Lübeck. Drogendelikte – Hehlerei … Die Spur löste nicht dieses Kribbeln in ihr aus, das sich sonst bei ihr einstellte, wenn sich bei Ermittlungen wichtige Puzzleteile ineinanderfügten. Trotzdem wollte sie der Sache nachgehen.
Marcel Kroll wohnte in Hamburg-Bramfeld. Er reagierte auf die zwei Kripobeamten in Zivil vor seiner Wohnungstür mit jener Mischung aus Ärger und Resignation, wie sie nur eine regelmäßige Wiederholung dieses Ereignisses hervorrufen kann. Er war Ende zwanzig, kaum mittelgroß und dünn. Seine schmalen Hüften und Beine steckten in einer verwaschenen Jeans; die von Eiweiß-Cocktails und Hantelarbeit aufgepumpten Oberarmmuskeln kamen in einem grau melierten Trägerhemd gut zur Geltung. Ebenso eine rötlich schimmernde Brandnarbe an Hals, Schulter und Oberarm, wie Pia interessiert bemerkte. Kroll hatte ein schmales Gesicht mit ausgeprägter Knochenstruktur. Die Augen standen eng zusammen, die Lippen waren voll. Das Phantombild hatte ihn recht gut getroffen, auch wenn er nun schmale Koteletten trug, die sich an seinen Kiefern entlangzogen und den Blick auf sein kantiges Kinn lenkten. Sein hellbraunes Haar trug er nach hinten gegelt, anders als auf dem Phantombild aus Perugia. Trotzdem, er ist es, dachte Pia und unterdrückte ein Schaudern, als sich Marcel Krolls babyblaue Augen mit beunruhigender Intensität auf sie richteten. Seine Gestik und Mimik vermittelten ihr das Gefühl, dass jedes Wort, das er an sie richten würde, obszön und jede Äußerung eine Provokation sein würde.
Pia wandte den Blick von ihm ab und sah sich in Krolls Umgebung um. Die Kargheit der Räume erinnerte sie an die schlichte Wohnung, die neulich für das Einsatztraining aufgebaut worden war. Das Appartement sah nicht bewohnt aus, sondern eher wie ein provisorischer Unterschlupf für begrenzte Zeit. Eine Einzimmerwohnung mit einer Küche und einem winzigen Badezimmer, wie die offen stehenden Zimmertüren sehen ließen. Immerhin war es hier so übersichtlich, dass klar war, dass Kroll sich allein in seiner Wohnung aufhielt. In der Ecke auf dem Boden lagen eine Matratze und ein unordentlicher Haufen Laken und Decken, daneben entdeckte Pia einen vollen Aschenbecher und ein paar Magazine. Vor dem Fenster standen zwei weiße Plastikgartenstühle und ein dazu passender runder Tisch, auf dem ein Laptop stand. Ein Sofa mit kaputtem Bezug aus der Zeit der Nierentische war gegenüber einem Flachbildfernseher und einer Stereoanlage aufgestellt.
»Ich bin gerade im Begriff auszuziehen«, sagte Kroll und deutete auf einen Stapel Umzugskartons, die an der hinteren Wand aufgereiht standen. »Womit kann ich euch beiden denn nun helfen?« Er wippte auf den Fußballen auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Seine Augen wanderten von Meier wieder zu Pia. Er deutete ein Lächeln an, dann blickte er zu seinem Computer auf dem Tisch. Das Ding hätte er bestimmt verschwinden lassen, wenn er gewusst hätte, wer vor der Tür steht, dachte Pia.
»Wir haben ein paar Fragen zu einer Italienreise, die Sie erst kürzlich unternommen haben«, begann sie.
»Italien?« Sein Erstaunen war so übertrieben, dass er nicht einmal ein Kind hätte täuschen können.
»Genauer gesagt, Perugia in Italien. Man hat sie am sechzehnten Juli abends im Hotel Guarini Palace gesehen.«
»Da sind Sie völlig falsch informiert. Ich bin die letzten Wochen
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