Tödliche Mitgift
sie, um das Schweigen zu brechen.
»Ich hab vorhin nach der Arbeit schon einen Hamburger gegessen. Ich bin hier, weil ich mit dir reden muss, Pia.«
Rosa Fanelli warf einen Blick zur Küchenuhr. Es klappte gerade, sie würde das Brot vor Beginn des Spätfilms im Backofen haben. Sie wusch sich die Hände am Spülbecken, dachte kurz daran, dass das Spülmittel, das sie wie Seife benutzte, ihren Händen noch mehr zusetzen würde, und griff nach der Schüssel mit dem Hefeteig. Unter dem Geschirrtuch war der Teigklumpen so weit aufgegangen, dass er fast über den Rand hinausgewachsen war. Wie etwas Lebendiges sah er aus und fühlte sich auch so an: warm und nachgiebig. Trotzdem leistete der Teig ihrem Griff mit einer gewissen Zähigkeit Widerstand, als sie ihn auf dem bereitliegenden Holzbrett auseinanderzog. Sie bestäubte alles großzügig mit Mehl und begann zu kneten. Francesco würde erst in einer halben Stunde aus der Werkstatt nach Hause kommen. Sie war allein.
Sie begann, energisch den Teig zu kneten. Abgesehen vom Ticken der Uhr und von ihrem eigenen Atmen war es still im Haus. Bis etwas gegen das Glas des Küchenfensters klopfte. Rosa Fanelli fuhr zusammen und sah über ihre Schulter. Drinnen war es hell, draußen dunkel, sie konnte nichts erkennen. Die Küche ging nach hinten zum Garten raus; eigentlich konnte da niemand sein … Nach all den entsetzlichen Dingen, von denen sie in letzter Zeit gehört hatte, war ihr nicht danach hinauszugehen, um nachzusehen. Während sie versuchte, ihr Unbehagen zu ignorieren, rollte sie den Teig zu einer langen Rolle und teilte ihn in drei Stücke.
Es klopfte wieder, dieses Mal lauter, und ein helles Oval tauchte aus der Dunkelheit an der regennassen Scheibe auf. Rosa Fanelli stieß einen alarmierten Schrei aus und schämte sich eine Sekunde später, als sie erkannte, wer da draußen stand. Sie ging zur Küchentür und öffnete sie. »Caterina! Was machst du denn hier?« Sie zog ihre Tochter herein und umarmte sie. Caterina trug nur eine dünne Sommerjacke; ihre Kleidung und die Haare waren feucht.
»Glaubst du, dass es besonders klug von dir ist, jetzt hierherzukommen?«, fragte sie, da ihre Tochter keinerlei Anstalten machte, von sich aus ein Gespräch zu eröffnen.
»Das Klügste, was ich in dieser schlimmen Situation überhaupt tun konnte«, antwortete Caterina mit trotziger Stimme.
»Du hättest bei deinem Onkel bleiben sollen. Er hat viel mehr Erfahrungen mit solchen Dingen als du.«
»Was meinst du mit ›solchen Dingen‹, Mamma ? Meinst du damit, wie man sich vor der Polizei versteckt hält? Ja, damit hat er wohl mehr Erfahrung als ich. Immerhin wird er seit mehr als fünf Jahren von den italienischen Behörden überwacht. Aber ich will nicht so leben. Mir ist klar geworden, dass ich auch nicht im Ausland leben will, in Kanada oder Südamerika … Ihr seid meine Familie, ich gehöre hierher.«
»Ach, Caterina«, sagte Rosa Fanelli. Sie hörte selbst, dass sie den gleichen Ton anschlug, in dem sie früher schlechte Schulnoten und verlorene Turnbeutel beklagt hatte. War das wirklich schon so lange her? Eher aus Verlegenheit als aus Notwendigkeit griff sie nach der Metallschütte auf der Arbeitsplatte und stäubte noch mehr Mehl auf den Teig. Sie begann wieder zu kneten, denn die nervöse Energie musste irgendwohin abfließen. Wie groß waren die Schwierigkeiten wirklich, in denen ihre Tochter sich befand? Und wie verkraftete sie all die Schicksalsschläge, die ihr in der letzten Zeit widerfahren waren? Erst die Verhaftung und Verurteilung ihres Ehemannes, dann die Zeit, in der Matthias im Gefängnis gesessen hatte. Die Rechnungen, die sie nicht hatte bezahlen können, die hämischen Nachbarn und hässlichen Zeitungsartikel über ihren Mann. Da sie, Rosa, und Francesco nur begrenzte Möglichkeiten hatten, ihrer Tochter unter die Arme zu greifen, hatte Francesco sich an Caterinas Patenonkel gewandt. Rosa wusste nicht, ob ihr Mann sich überhaupt darüber klar gewesen war, wem er seine Tochter und später auch seinen Schwiegersohn da anempfohlen hatte. Gisbertos »Hilfe« hatte so ausgesehen, dass er Caterinas Mann in seine zweifelhaften Geschäfte hineingezogen hatte. Unvoreingenommen betrachtet, hatte sich der geplante Handel mit umbrischem Wein und Olivenöl zwar wunderbar angehört, wie eine echte Chance. Aber sie, Rosa Fanelli, geborene Rizzo, hätte es besser wissen müssen. Wenn Gisberto Geschäfte machte, war er nicht an Kleingeld interessiert. Und nun
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