Tödliche Nähe
Diamanten. Woher sie das Armband hatte, wusste er nicht, aber nun gehörte es ihm. Noch ein Souvenir … ein ganz besonderes Geschenk für die ganz besondere Frau in seinem Leben.
Sobald er es eingesteckt hatte, sah er zu, dass er aus dieser dunklen Gasse herauskam.
Er musste zurück ins Hotel, um diese Klamotten zu vernichten, zu duschen … Und er brauchte noch eine Mütze Schlaf, bevor am Morgen diese ganzen bescheuerten Besprechungen beginnen würden.
3
Zwei Monate später
Den Kopf in die Hand gestützt, betrachtete Nia Hollister Tatortfotos und Polizeiberichte über eine weitere Frau, die vergewaltigt und ermordet worden war. Sie hatte bereits eine halbe Schachtel Zigaretten geraucht und zwei Dosen Energydrink intus. Lange würde es ihr trotzdem nicht mehr gelingen, die Augen offenzuhalten.
Sie wusste, sie konnte nicht ewig so weitermachen.
Das sagte ihr der gesunde Menschenverstand. So geht das nicht mehr . Wie lange willst du dein Leben noch dafür auf den Kopf stellen?
»So lange wie nötig«, brummelte sie und zog noch einmal an ihrer Zigarette.
Während sie nach irgendeinem unbestimmten Zeichen suchte, hatte sie wenigstens das Gefühl, überhaupt zu handeln. Der Mord an ihrer Cousine stellte ein riesiges Durcheinander dar, und dies war ein weiterer Schritt, um es zu bewältigen. Dabei tat es überhaupt nichts zur Sache, dass die Polizei den Täter kannte und den Fall abgeschlossen hatte, oder dass der Mörder tot war.
Das spielte alles keine Rolle … weil es sich nicht richtig anfühlte. Nichts daran kam ihr stimmig, abgeschlossen oder vollständig vor – im Gegenteil, es fühlte sich total falsch an.
Vor lauter Erschöpfung verschwamm ihr alles vor Auge und Kopfschmerzen plagten sie. Ihr knurrte der Magen, aber sie würde erst vom Schreibtisch aufstehen, wenn sie diese Akten durchgesehen hatte. In den vergangenen zwei Wochen war sie wegen eines Auftrags in Europa gewesen und hatte nicht einen Blick auf all das Material werfen können, das sich inzwischen bei ihr stapelte. Nun würde sie den Papierberg endlich durchackern.
Nur wie? Trotz all der Sorgen und der Trauer war sie immer noch in der Lage, rational zu denken. Diese Fähigkeit ließ zwar rapide nach, doch wenn sie es mit Vernunft betrachtete, musste sie sich fragen, wie zum Teufel sie dieser Dutzenden und Aberdutzenden von Akten, die überall in ihrem Büro verteilt lagen, Herr werden wollte. Es gab unzählige Fälle von vergewaltigten und ermordeten Frauen. Sie hatte versucht, die Recherche möglichst genau einzugrenzen – auf junge, gut aussehende Opfer aus dem Mittleren Westen.
Es waren immer noch zu viele. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Als ihr Hin-und-wieder-Freund vor ein paar Stunden all diese Akten gesehen hatte, war ihm der Geduldsfaden gerissen.
»Wann lässt du das Ganze endlich los? Sie haben den Kerl doch gefunden!«
Nein, haben sie nicht , hätte sie am liebsten widersprochen. Doch das wäre sinnlos gewesen. Er hätte ihr nicht geglaubt, und letztlich war das auch egal.
Er hatte sie mit einem Blick angesehen, in dem Mitleid, Zorn und Trauer lagen, sich dann umgedreht und war gegangen. Sie ahnte, dass er nicht wiederkommen würde.
Doch es spielte keine Rolle. Nichts spielte noch eine Rolle, nichts, außer ihrer Suche. Sie musste sie fortsetzen, weiter Ausschau halten. Wonach, das wusste sie nicht, aber Nia konnte nicht loslassen und aufgeben.
Dass sie diesen Kerl gefunden hatten, bedeutete nichts. Sie musste weitersuchen … Es war wie eine Droge, die sie beherrschte, ihr zusetzte, sie antrieb. Sie musste weitersuchen, unbedingt …
Mit müden, trockenen Augen durchblätterte sie eine Akte über eine einundzwanzigjährige Schwesternschülerin, die in St. Louis überfallen und umgebracht worden war. Den Mörder hatte man nie gefasst. Sie tat Nia so leid. Doch abgesehen von Trauer fühlte sie gar nichts, während sie die Berichte las und sich die Bilder ansah.
Nichts, kein Hinweis darauf, dass sie in der Hand hielt, wonach sie suchte – was sie finden musste. Auch wenn sie nicht direkt erwartete , etwas zu spüren. Sie war nur …
Mist. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete oder wonach sie suchte, geschweige denn, was sie zu finden hoffte. Sie trank einen Schluck aus der fast leeren Dose Energydrink und griff nach der nächsten Mappe vom Stapel ›Erfolg versprechend‹. Doch vor lauter Erschöpfung war sie so ungeschickt und stieß aus Versehen sowohl die ›Erfolg versprechenden‹ als auch die
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