Tödliche Nähe
weg?«
»Ich bezahle sie dafür, weil das ihr Job ist.« Er warf Nia über die Schulter hinweg einen finsteren Blick zu. »Wegwerfen geht nicht – irgendwann werde ich den Kram brauchen, oder besser gesagt, ich könnte ihn brauchen.«
»Was soll das denn heißen?« Sie betrachtete eine der Karten – die sie zufällig ziemlich gut kannte. Das historische Gebiet von Colonial Williamsburg war darauf abgebildet. »Wozu solltest du denn eine Karte von Colonial Williamsburg brauchen?«
Er ließ sich auf das Wohnzimmersofa fallen und zog ein wenig die Schultern nach oben, während er irgendetwas vor sich hin murmelte.
»Wie bitte?«
»Recherche.« Er klappte seinen Hefter zu, pfefferte ihn auf den Couchtisch und schaute sie mit einem gereizten Lächeln an.
Allmählich hatte Nia den Verdacht, dass er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte.
»Recherche?«, wiederholte sie und blätterte weiter durch den Ordner. Anscheinend hatte sie nun die zweite Hälfte der alphabetisch sortierten Bundesstaaten erwischt. Es gab Karten von Texas, North Dakota, South Dakota, New Mexiko, West Virginia, Virginia, Washington State und Washington D . C. »Bist du Reiseveranstalter oder was?«
Ausdruckslos schaute er sie an, trotzdem wurde sie den Eindruck nicht los, dass er sich unwohl fühlte. Und wie. »Nein, bin ich nicht«, erwiderte er trocken.
»Also gut, was machst du dann beruflich?«
Er verzog das Gesicht. »Ich bin Schriftsteller.«
»Schriftsteller?«
»Ja. Für Bücher. Ich schreibe Bücher. Und wenn ich reise, nehme ich von jedem Ort Stadtpläne und Ähnliches mit, für den Fall, dass ich irgendwo mal eine Handlung ansiedeln möchte. Ich kann mich nämlich nie an die Einzelheiten erinnern, wenn es darauf ankommt.« Er setzte wieder diesen eigentümlichen Gesichtsausdruck auf und rutschte unruhig auf dem Sitzpolster herum. »Zufrieden?«
»Du bist Schriftsteller.«
»Jepp.« Abermals schnappte er sich den Hefter und starrte darauf, als läge darin die Antwort auf alle Fragen des Universums verborgen.
Nia schaute sich in dem unordentlichen Wohnzimmer – Schrägstrich – Büro um und musterte den Schwung neuer Bücher, die sich wie zufällig an einer Wand stapelten. Alle waren noch eingeschweißt und stammten vom selben Autor. Das hatte sie zwar auch vorher schon am Rande bemerkt, aber sie war so auf Law konzentriert gewesen, dass sie nicht weiter darauf geachtet hatte.
Nun sah sie sich den Namen des Autors genauer an und ließ den Blick zwischen Law und den Büchern hin- und herwandern.
»Law Reilly«, brummte sie kopfschüttelnd.
Auf den Büchern stand ein anderer Name … der jedoch nicht so sehr von seinem Geburtsnamen abwich. Den hatte sie während ihrer Recherchearbeit zu jeder Person, die ihrer Meinung nach eine Verbindung zu ihrer Cousine gehabt haben könnte, herausgefunden.
Law war die Kurzform von Lawson.
Edward Lawson Reilly.
Ed O’Reilly.
»Ach du heilige Scheiße – du bist Ed O’Reilly?«
Er zog seine schmalen Schultern noch weiter nach oben und bekam knallrot leuchtende Ohren. Sein Gesicht konnte sie hinter den zotteligen Haaren nicht erkennen.
»Law?«
»Ja?«
Sie wartete darauf, dass er zu ihr aufschaute, doch er starrte weiterhin nur auf den Hefter; mehr nicht. Als sollte der Ordner verhindern, dass er seine eigenen Knie betrachtete.
Mit einem Seufzer schmiss sie ihren Hefter auf den Tisch und nahm ihm auch seinen ab. »Würdest du mir bitte in die Augen sehen?«
Er seufzte ebenfalls und schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Also, die letzten zwei Stunden hast du mich zur Eile angetrieben, während ich nach den Dingern hier gesucht habe. Und jetzt möchtest du mit mir plaudern?«
»Ich möchte nur eine Antwort von dir haben«, erwiderte sie mit einem Anflug von Belustigung. Denn ganz offensichtlich war ihm die Angelegenheit ziemlich peinlich.
»Antwort worauf?«
»Bist du Ed O’Reilly?«
Er verdrehte die Augen. »Ja. Können wir uns dann jetzt bitte den Karten zuwenden?«
Sie spitzte die Lippen und konnte nicht widerstehen, ihm durchs Haar zu streichen. Die dichten, goldbraunen Locken, durchmischt mit hellblonden und dunkelbraunen Strähnen, fühlten sich kühl und weich an. »Weißt du, ich habe ein paar von Ed O’Reillys Büchern gelesen. Allerdings hätte ich gedacht, er wäre älter – so um die fünfzig vielleicht. Mit Glatze. Und Schmerbauch.«
Law zog eine Augenbraue hoch. »Worauf willst du hinaus?«
»Du siehst nicht aus wie ein Ed.« Sie küsste ihn
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