Toedliche Offenbarung
Babette.«
Martha stößt einen Seufzer der Erleichterung aus. Müllers Mutter hat die neugierige Babette besucht. Clara ist allein zu dem Treffen gegangen. Vielleicht war auch Bollund da. Und dann? Dann war sie plötzlich verschwunden. Hat alles zurückgelassen. Sogar das Tagebuch.
»Was hast du eigentlich gedacht, als ich so plötzlich fort war?« Erwartungsvoll sieht sie Emil Zander an.
Schweigen folgt. Der Alte ist erschöpft, schließt die Augen und flüstert: »Am nächsten Tag war der Gemüsegarten bei den Müllers umgegraben. Direkt neben dem Komposthaufen vor der Hecke. Das ging mir nie aus dem Kopf.«
»Was willst du damit sagen?« Martha ist irritiert. Gräbt man im Frühherbst einen Gemüsegarten um?
»Warum wurde der Garten umgegraben?«, bohrt sie nach.
Wieder keine Antwort.
»Emil, was hast du gesehen?«
In Marthas Kopf arbeitet es unaufhörlich. Was hat Herbert Müller mit Clara gemacht? Die junge Frau stellte für Müller und Bollund plötzlich eine Bedrohung dar. Nicht nur, dass sie zu viel wusste, sie wollte die Verfahren auch wieder aufrollen. Hat Müller ihr bei diesem Treffen gedroht, sie vielleicht sogar getötet? Oder war es Bollund? Oder beide? Haben sie sie dann weggeschafft, um einen Mord zu vertuschen?
In Gedanken geht Martha die verschiedensten Szenarien durch: Clara wurde verschleppt oder ermordet. Verschleppt ergibt keinen Sinn. Bleibt die letzte Variante. Von dem Tagebuch scheinen die beiden nichts gewusst zu haben. Martha fixiert den alten Mann, nimmt seine Hand und streicht sacht darüber.
»Emil?«
Emil Zander starrt auf den Boden und schweigt. Ein Speichelfaden löst sich gerade von seiner Unterlippe.
»Emil, sag doch was! Was hast du gesehen?«
Tatsächlich, er hebt den Kopf und dreht sich in Zeitlupe zu ihr um: »Die Babette backt leckere Kuchen. Ihr Käsekuchen und der Streuselkuchen … Alles mit guter Butter.«
12
Kevins Mutter öffnet gleich beim ersten Klingeln die Haustür. Abgestandener kalter Rauch fällt Wörstein entgegen und er weicht angeekelt einen Schritt zurück. Das scheint die Wohnungsinhaberin aber entweder nicht zu stören oder sie bemerkt es gar nicht.
»Sind Sie Frau Fischer?«
»Was wollnse von mir?«
»Ich möchte mit Ihnen über Karl sprechen.«
»Kenn keinen Karl.«
»Sie haben doch einen Sohn.« Für einen Moment ist Wörstein irritiert.
»Hat der Kevin wieder was ausgefressen?« Ohne die Antwort abzuwarten, will sie die Tür zuknallen.
Schnell streckt Wörstein sein Mitbringsel durch den Türspalt. Richtig, dieser Karl heißt ja eigentlich Kevin. Das darf er nicht durcheinander bringen.
»Nein, Ihr Sohn ist in Ordnung. Ich bin ein Freund von Kevin.«
Ihre kleinen rotgeäderten Augen blitzen freudig auf, als sie die zwei Schnapsflaschen sieht, die er ihr statt Blumen mitbringt.
»Na, wenn das so ist.« Sie winkt ihn herein. »Kommse rein. Da müssen wir ja nicht im Treppenhaus rumstehen.«
Wörstein geht über einen schmuddeligen Teppichboden ins Innere der Wohnung. Sich aneinanderreihende Flecken geben dem Velours eine undefinierbare Farbe, die irgendwo zwischen graugrün und schwarz liegt. Auf dem Belag im Wohnzimmer ist rechts neben der Tür ein großer brauner Fleck. Ein mit Nippes voll gestopfter Vitrinenschrank aus Kiefernholz verdeckt die Wand. Gegenüber steht eine ausladende Sitzgruppe, die auf den Fernseher ausgerichtet ist.
»Setzense sich, ich hol nur schnell Gläser.«
Mit der flachen Hand fegt Wörstein Brotkrümel von der Sitzfläche des mit hellbraunem Velours bezogenen Polstersofas und sucht sich die sauberste Stelle aus, um sich hinzusetzen.
»Bin schon wieder da.«
Die unscheinbare blonde Frau ist höchstens vierzig, sieht aber deutlich älter aus. Früher muss sie einmal ganz gut ausgesehen haben, nicht schön, aber immerhin hübsch. Jetzt scheint sie jedoch keinen Wert mehr auf ihr Äußeres zu legen. Strähnige dunkelblonde Haare fallen ihr ungekämmt in die Stirn, am Hinterkopf sind sie platt gelegen.
»Dann wollenwa Mal.« Sie zeigt auf die Schnapsflasche und lächelt, dabei verschwimmen die Konturen in ihrem aufgedunsenen Gesicht. »Nennse mich Andrea.«
Wörstein grinst. Eine Alkoholikerin, der alles um sich herum egal ist. Matusch hatte Recht, diese Sorte von Mäusen fängt man nicht mit Speck.
Andrea Fischer setzt sich auf den gegenüberliegenden Sessel, schiebt den überquellenden Aschenbecher zur Seite und stellt zwei Wassergläser auf den Tisch. Wörstein öffnet die Flasche und
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