Toedliche Offenbarung
Müllers Garten umgegraben. Claras Leiche könnte dort liegen. Das ergibt einen Sinn. Alle haben gedacht, sie sei weggefahren, dabei hat sie Celle nie lebend verlassen.
Das Klingeln des Telefons reißt Martha aus ihren Gedanken. Es ist Mittenwald.
»Ich habe da was für Sie«, legt er sofort los und wartet erst gar keine Antwort ab. »Der verschwundene Junge ist wieder aufgetaucht. Wissen Sie das schon?«
Das gedehnte »Ja« Marthas ist Mittenwald Antwort genug.
»Eigentlich hätten Sie mir darüber ausführlicher berichten können. Ein Junge aus unserer Kleinstadt wird entführt und brutal misshandelt. Das ist schließlich ein Thema, das unsere Leser interessiert.«
Nicht diese alten Kamellen aus Celle, die Sie ständig anbringen. Martha hört die unausgesprochenen Zwischentöne durchaus. Bevor sie jedoch antworten kann, redet Mittenwald schon weiter.
»Die ganze Sache hat doch an dem neuen Schulungsheim hinter Ehlershausen ihren Anfang genommen. Da ist der Junge verschwunden. Egal, ob die »Aufrechten Deutschen« etwas damit zu tun haben oder nicht, die ganze Sache wächst sich zum Politikum aus und bringt Unfrieden in die Stadt.«
Während Mittenwald redet, überlegt Martha, worauf ihr Chefredakteur eigentlich hinaus will, aber ihr fällt beim besten Willen nicht ein, in welche Richtung er galoppiert.
»Soll ich ein Interview mit dem Jungen machen?«, wagt sie sich vor.
»Das ist vielleicht keine schlechte Idee. Aber damit warten wir, bis dieser junge Mann aus dem Krankenhaus entlassen wird. Ich habe da eine ganz andere Idee. Sie haben mir doch von der Mahnwache vor diesem Heim berichtet und dass die Region den Kaufvertrag am liebsten rückgängig machen würde.«
»Soll ich zur Region gehen und nachhaken, wie es zu dieser Vertragsunterzeichnung gekommen ist? Ich kenne da jemanden in der Verwaltung …«
»Auch keine schlechte Idee«, unterbricht Mittenwald sie. »Aber mir schwebt da etwas ganz anderes vor.«
Mittenwald macht eine Pause und wartet auf einen neuen Einwurf von Martha. Als keiner kommt, redet er weiter und lässt sich jedes Wort auf der Zunge zergehen.
»Ich dachte, wir packen den Stier bei den Hörnern.«
Martha stutzt. »Und wer ist der Stier? Wörstein?«
»Nein, ich dachte an den Mäzen im Hintergrund.«
»Aber an den kommt doch keiner ran. Es gibt kein Foto, nichts. Der Mann tritt nie in Erscheinung.«
»Man muss eben seine Beziehungen haben.«
Martha hört durch den Telefonhörer, wie Mittenwald genüsslich an seiner Zigarre zieht.
»Ich bin gerade bei meinem alten Lions-Freund Mallewitz in Altencelle, ein begnadeter Mediziner und Jäger. Der kennt ihn gut, schließlich ist er seit Jahren sein Hausarzt. Und Mallewitz hat mir auch erzählt, dass der Mann plant, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Er sucht jetzt jemanden, dem er von seinem unaufhaltsamen Aufstieg erzählen kann, damit alles für die Nachwelt festgehalten wird. Mallewitz soll sich umhören, wo es einen guten Biografen gibt. Daraufhin hat der mich gefragt – man kennt sich eben – und ich habe Sie ins Spiel gebracht. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein.«
»Mich? Ich habe so etwas aber noch nie gemacht.«
»Ist doch egal. Sie können gut zuhören und schreiben können sie auch. Das passt schon.«
»Aber der lässt garantiert niemanden von der Zeitung an sich heran. Der soll ausgesprochen pressescheu sein.«
»Wer sagt denn, dass er weiß, dass Sie von der Zeitung kommen? Es kommt zu einem kleinen Vorgespräch, da muss man ihm doch nicht alles auf die Nase binden.«
Langsam begreift Martha, was Mittenwald von ihr will.
»Muss ich denn dazu etwas über ihn wissen?«
»Viel weiß ja niemand. Mallewitz hat mir nur ein paar Eckdaten genannt. Der Mann kommt aus einfachen Verhältnissen. Mitte der fünfziger Jahre hat er zusammen mit seinem Schwiegervater aus einem Fuhrunternehmen mit einem Lastwagen ein viel versprechendes Transportgeschäft aufgebaut. Tag und Nacht fuhr er abwechselnd mit dem Lastwagen von Celle nach Hannover oder Hamburg. Die Geschäfte florierten. Nach einem Jahr kam der zweite Lastzug dazu. Der erste Fahrzeugführer wurde angestellt. Von nun ab nannten sie sich » Spedition Golter – pünktlich ans Ziel «. Dann ging es Schlag auf Schlag. Mitte der Sechziger besaßen sie hundert Fahrzeuge und ebenso viele Fahrer. Vor ein paar Jahren hat er dann alles verkauft und einen Großteil des Geldes in die Stiftung »Golter« fließen lassen. Seine Frau und die Tochter sollen nach Kanada
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