Toedliche Offenbarung
dass Karl vielleicht nur kurz unterwegs ist und ich mich danach um ihn kümmern könnte«, setzt er entschuldigend hinterher. Scheiße, wie man’s macht, macht man’s falsch.
Wörstein hat Mühe, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. Seine eisigen Augen sezieren Matuschs Schädel, vereisen dessen Ohren und Nase. Mit was für Idioten hat er es hier eigentlich zu tun? Plan B ist eine klare Ansage und kein »wir machen vielleicht etwas«. Doch es wäre ein Fehler von ihm, das in dieser Situation auszusprechen. Matusch ist zwar geistig nicht besonders helle, könnte aber noch nützlich sein. Man muss ihn nur richtig einsetzen.
Wörstein reibt mit Zeigefinger und Daumen an seiner langen Nasenspitze. Die gefährliche Figur im Spiel ist jetzt Karl. Das steht fest. Ein Bursche mit wenig Grips, der viel zu viel weiß. Das darf ihm in Zukunft nicht wieder passieren. Wörstein atmet tief ein und versucht, sich in die Lage von Karl zu versetzen. Ein Achtzehnjähriger ohne Geld und Ausbildung, ein Junge ohne Freunde und Familie. Wörstein hält inne. Das stimmt nicht ganz. Karl hat ihm eines Abends von seiner Mutter erzählt, die in einer Schlichtwohnung am Rande von Burgdorf lebt, besser gesagt: in ihrem Alkoholnebel vor sich hin vegetiert. Er sollte ihr einen Besuch abstatten.
»Sag mal, Matusch, in welcher Straße wohnt eigentlich Karls Mutter?«
9
Emil Zander klappt das Fotoalbum auf. Zuerst starrt er das Bild an, auf dem er mit einer großen Zuckertüte am Tag der Einschulung vor der Schultür steht. Dann blättert er vorsichtig weiter. Eine Jungengruppe steht in Kniestrümpfen nebeneinander vor einem spitzzackigen Eisenzaun. Martha zeigt auf den rechten Jungen.
»Das ist Herbert Müller. Der mit dem Blutschwamm im Gesicht. Erkennen Sie ihn?«
Emil Zander hebt den Kopf und betrachtet Martha, als wäre sie eben gerade vom Himmel gefallen. Er greift nach ihrer Hand und drückt sie kräftig.
»Bist du doch zurückgekommen?« Er drückt noch fester zu. »Hab nicht mehr daran geglaubt.«
Martha sagt nichts, mustert stattdessen die geschwollenen Gelenke seiner Finger, registriert die braunen Altersflecken auf dem Handrücken, genau wie den abgestandenen muffigen Geruch, der von ihm ausgeht. Bitte, lass ihn sich erinnern, schickt sie als Stoßgebet zum Himmel.
»Die neugierige Clara ist wieder da. Zurück aus Amerika. Hast du alles herausbekommen, was du wissen wolltest?«, murmelt Emil Zander leise.
Martha kann ihn trotzdem gut verstehen, seine Stimme ist klarer und fester als noch vor wenigen Minuten. Statt einer Antwort lächelt Martha ihn an und erwidert den Druck seiner Hand.
»Weißt du jetzt Bescheid?« Ein Lächeln huscht über das Gesicht des alten Mannes.
»Herbert Müller hat an der Flakstation Leute erschossen.«
»Das ist nichts Neues. Das hast du ihm doch direkt ins Gesicht geschleudert. Aber was hat der andere dazu gemeint?«, schnauft der Alte.
»Welcher andere?«
»Weißt du das nicht mehr?« Fast scheint es, als ob der alte Mann sich freut, dass die Frau ihm gegenüber etwas vergessen haben könnte.
Martha zuckt statt einer Antwort mit den Schultern. Wen meint er bloß? Emil Zander grinst spitzbübisch und erinnert sie für einen Augenblick an seinen Sohn.
»Der Bollund natürlich, der war doch mit dabei. Was hat der dazu gesagt?«
»Wozu? Redest du von den Schüssen auf den Mann in Sträflingskleidung. Redest du über den Mann, der aus Wilhelms Wohnung kam?«, fällt Martha in das vertrauliche »du« ein, das Emil Zander gewählt hat.
»Nein, ich rede von den Meineiden, die sich alle gegenseitig geschworen haben. Du wolltest die erneut vor Gericht ziehen.« Ein verschmitztes Lächeln umspielt Zanders faltige Lippen. »Diese Morde sollen nicht ungesühnt bleiben, hast du immer gesagt. Die krieg ich dran, die bring ich vor Gericht.« Emil Zander lächelt immer noch. »Wie war denn nun dein Treffen mit Herbert? Du hast mir nichts davon gesagt. Am nächsten Tag warst du einfach weg – und alle haben erzählt, dass du zurück nach Amerika bist.« Die Ungeduld in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
»Wer sind alle?«
»Herbert und Bollund natürlich, ich glaube, auch der Wilhelm, der Wilhelm Trott, aber bei dem bin ich mir nicht so sicher.«
»Wo hatten wir uns verabredet?«
Emil Zander erstarrt plötzlich, dreht sich zu ihr um und betrachtet sie mit leerem Blick. Sie streicht über seinen Arm, aber er reagiert nicht.
»Wo hatten wir uns verabredet?«, wiederholt sie.
»Wann
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